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Mensch, Markus!

Mensch, Markus!


Zum Kanzlerkandidaten hat es 2021 nicht gereicht – trotz „unglaublichem Zuspruch“, den Markus Söder im vergangenen Jahr immer wieder betonte. Als selbsternannter „Kandidat der Herzen“ verabschiedete sich der CSU-Vorsitzende vorerst zurück nach Bayern, von wo aus er sich nun in Oppositionspolitik übt. Dabei ist er so wandelbar wie seine berühmten Faschingskostüme. Glaubwürdig macht ihn das nicht.

Abschied aus Team Vorsicht

Selbst die, die von sich sagen, keine Corona-Nachrichten mehr zu rezipieren, werden mitbekommen haben, dass sich ein weiterer Buchstabe des griechischen Alphabets auf dem globalen Vormarsch befindet: Zur großen Besorgnis aller, die Gedanken an die Pandemie noch zulassen. Die Omikron-Variante gilt als fünf Mal ansteckender als die bisher dominante Delta-Variante. Dass Corona bald endemisch werden könnte, mag als Hoffnungsschimmer gehandelt werden, eine stete Einnistung dieser Variante ist allerdings hoch problematisch. Aus diesem Grund, und um das Gesundheitssystem auch bei erhöhten Ansteckungsraten funktionsfähig zu halten, hat die Regierung an diesem Freitag neue Corona-Maßnahmen beschlossen, unter anderem veränderte Quarantäneregeln. Gleichzeitig wurden die Zugangsregeln für den gastronomischen Betrieb verschärft. Team Vorsicht applaudiert, privat und politisch. 2G+ wirkt Schließungen entgegen und fängt die Wirtschaft auf, Freiheit und Sicherheit sitzen in einem Boot. Bundeskanzler Olaf Scholz scheint zufrieden mit den neuen Beschlüssen, das Kabinett nickt, nur Markus Söder zeigt sich skeptisch. Er bat den neuen Gesundheitsminister vor laufenden Kameras, die Beschlüsse noch einmal auf ihre Notwendigkeit zu prüfen. Söder zweifelt damit Lauterbachs Glaubwürdigkeit an und posiert mit seiner Macht als Ministerpräsident. Söder ist Jurist, Lauterbach Mediziner mit Schwerpunkt Epidemiologie, der um die emotionalisierte Dynamik der Pandemie weiß. Er wird wohl kaum einen mäßig geprüften Beschluss veröffentlicht haben. Markus Söder weiß das. Er weiß aber auch, dass viele andere das nicht tun. Und viele andere sind potenzielle Wähler:innen.

Wähler:in vor Wissenschaft

Markus Söder agiert seit dem achten Dezember in der Opposition. Die Pandemie hat er, vor allem vor dem Kanzlerkandidaten-Votum der Union im April 2021, als Wahlkampfthema für sich instrumentalisiert. Ihm schien die Rolle des Corona-Managers zu gefallen. Er hob sich selbst auf den Führungsposten des&#160;<em>Team Vorsicht</em>und kritisierte alle, die in seinen Augen zu lasch mit der Pandemie umgingen, vor allem den ehemaligen Bürgermeister Michael Müller, der ein „Lotterleben“ in Berlin unterstütze, während in Bayern Lockdown herrsche. Markus Söder war laut und omnipräsent. Zwischendurch fing man tatsächlich an zu glauben, dass ihm die Gesundheit aller Menschen am Herzen liege, welch christlich sozialer Wert. Seine Kursänderung zeigt, dass seine Werte nur Stufen sind, auf der Treppe von Wähler:innenstimmen in Richtung Macht. Sein neuer Kurs, den er auf Twitter „Vorsicht mit Augenmaß“ nennt, zeigt, dass das Einzige, was Markus Söder am Herzen liegt, Markus Söder ist. Den dringenden Rat auf weitere Kontaktbeschränkungen und strengere Maßnahmen der Wissenschaftsakademie Leopoldina ignorierend, macht sich Söder die Pandemie-Müdigkeit der Menschen zu Eigen und schlägt sich auf ihre Seite. Das kann er jetzt, als Oppositionspolitiker: Leere Kritik üben und destruktiv die Wissenschaft angreifen. Das ist keine Oppositionsarbeit, das ist Gift für die Pandemiebekämpfung und trägt zur weiteren Verunsicherung der Menschen bei.

Dabei hätte er so viele andere Aufgaben. Bayerns Impfquote befindet sich im bundesweiten Durchschnitt im unteren Mittelfeld, gerade einmal 70% der Menschen sind doppelt geimpft. Darüber verliert Söder aber kein Wort, denn Impfgegener:innen sind auch wahlberechtigt.

Die Verantwortung der Opposition

In diesem Zug finde ich es wichtig über die politische Opposition zu sprechen. Ich frage mich, ob die Union das ebenfalls tut, nach 16 Jahren Regierungsbeteiligung hat sie möglicherweise vergessen, dass Opposition nicht Anti-Alles bedeutet. Oppositionsarbeit ist elementar für eine Demokratie, da die Regierung kontrolliert und immer wieder herausgefordert wird. Die besten Ideen sollen umgesetzt und die effektivsten Gesetze verabschiedet werden. Für die Menschen, die gewählt haben. Nicht für die Politiker:innen, die gerne in ihrem Ruhm baden gehen.

Ich habe mir kürzlich den Internetauftritt der CDU angesehen. Mit Friedrich Merz als designierten Vorsitzenden will die Partei sich neu aufstellen, inhaltlich und organisatorisch. Friedrich Merz und neu in einem Satz zu verwenden, finde ich beinahe kontradiktorisch, aber diese Bewertung ist subjektiv. Ich möchte hier nicht die CDU bashen – Markus Söder wäre traurig um seine Alleinstellung – ich möchte auf die politisch-gesellschaftliche Verantwortung aufmerksam machen, die bei der Union, genauso wie bei Markus Söder, in vielerlei Hinsicht fehlt. Verantwortung zu übernehmen bedeutet nicht nur die Wünsche der eigenen Wähler:innen umzusetzen, sondern politisch nur zu blockieren, wenn es inhaltlich notwendig ist. Außerdem muss konstruktiv nach parteiübergreifenden Schnittmengen gesucht werden. Wenn die CDU dafür eine komplette innerparteiliche Erneuerung braucht, dann ist das gut. Wenn der Imagewechsel aber initiiert ist, um mit dem Zeitgeist mithalten zu können, obwohl die tatsächliche Überzeugung fehlt, dann ist das ein Problem. Armin Laschet lacht im Ahrtal, ein peinliches Beispiel. Auch in einer Demokratie gibt es politische No-Gos. Ihre Existenz muss überwunden und nicht überpinselt werden!

Lobbyismus – von Politiker:innen für Politiker:innen

Bevor ich mich wieder Markus Söder widme, möchte ich einen sehr kurzen Ausflug in die Lobbyismus-Blase machen.

Die CDU hat in den vergangenen Jahren ihre Nähe zur Wirtschaft mehrmals zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt. Jens Spahn, Nikolas Löbel und Georg Nüßlein haben mit Maskenaffären ihre Unabhängigkeit beschmutzt. Philipp Amthor ist immer noch Bundestagsabgeordneter, obwohl er sich selbst vor einigen Monaten zur Hauptfigur im Lobby-Skandals um Augustus Intelligence gemacht hat. Die Partei pflegt weiterhin eine politische Nähe zur Diktatur Aserbaidschan. In der CDU scheint man es nicht so genau zu nehmen, wenn sich persönliche Beziehungen und geschäftliche Anliegen vermischen. So wirft die Organisation Lobbycontrol der CDU vor, in der vergangenen Legislaturperiode das Vertrauen in die Demokratie stark geschädigt zu haben. Eine Partei, die sich mit selbstbereicherndem Verhalten und dem Vertreten von Partikularinteressen selbst zerstört, sollte über nichts als ihr politisches Ethos nachdenken. Sich mit Bürgernähe und Bodenständigkeit zu schmücken, finde ich vor diesem Hintergrund ziemlich unverschämt.

Und Markus?

Markus Söder ist in dieser giftigen Maschinerie das größte Rad, weil seine Machtgier ihn käuflich gemacht hat. Seine Selbstinzenierung als Freund der Menschen fliegt langsam auf, seine Popularitätswerte in Bayern sinken. Wandelbarkeit darf Werten nichts anhaben und Lügen darf man nicht sagen. Das Wissen sogar die, die noch nicht wahlberechtigt sind.

Foto: Unsplash

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