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forever -ever?

forver-ever? Ein Text über Selbstverständlichkeiten


Ich war kürzlich in meiner Heimat in Hessen und mir sind ein paar Dinge aufgefallen. Der Normalität geschuldete durchsichtige Dinge werden irgendwann farbig, wenn sie vom Normalitätsradar fallen. Sie fallen durch ein Netz von Vergangenheits-Alltag und unzähligen Umzügen, Geburtstagen in fremden Städten und sich verlierenden Freundschaften. Das Netz aus Erinnerungen und neuen Erfahrungen färbt Dinge ein. Frühere Selbstverständlichkeiten rücken aus ihrer Farblosigkeit und werden sichtbar, und manchmal tut das weh, weil alles anders ist und man retrospektiv immer klarer sieht.

Während ich das schreibe, denke ich an meinen Hund Mucki, der jahrelang eine solche Selbstverständlichkeit für mich war. Jetzt ist Mucki krank und fällt durch das farblose Netz. Mucki ist schwarz, an der Nase grau, liebt Karotten und kann Guten-Morgen bellen. Er jagt Autos und hat am 10. Geburtstag meines Bruders ein ganzes Blech Pizza gegessen. Als ich das erste Mal mit ihm Bus gefahren bin, hat er vor lauter Aufregung seinen Darm entleert und als ich 16 war mussten wir ihm drei Tage lang Sauerkraut geben, weil er Omas Kirschkernsäckchen gefressen hat. Zwei Mal ist er durchs Gartentor verschwunden und zwei Mal dachten wir, dass war’s jetzt. Mucki kam immer wieder zurück. Wer Mucki nicht mag, den mag ich nicht. So war das schon immer, ich habe manchmal aber nicht dazu gestanden. Manchmal mochte ich Mucki selbst nicht. Wenn es geregnet hat, und ich trotzdem mit ihm Gassi gehen musste. Wenn ich seine Haare nichtmal mit einer Fusselbürste von meinen Lieblingsklamotten bekommen habe, wenn sie im Essen gelandet sind, wenn Mucki nicht aufgehört hat zu bellen und ich am Telefon kein Wort verstanden habe, oder wenn er morgens so lange an meiner Holztür kratzte, bis ich aufstehen musste.

Menschen die Tiere haben und Menschen die Tiere lieben, werden verstehen was ich meine, wenn ich sage, dass Mucki wie ein Bruder für mich ist. Geschwister befinden sich auch dort: Im farblosen Netz der Selbstverständlichkeiten.

Mucki ist mittlerweile 13, das ist alt für einen großen Hund. Meine Mutter sagt das immer und ich frage mich, ob sie mich auf seinen Tod vorbereiten will. Ich will dann sagen, dass ich nicht mehr fünf bin, und dass ich weiß, dass Tiere nicht für immer leben, und gleichzeitig werde ich so traurig, dass ich daran glauben will, dass es doch anders ist. Erst jetzt, 12 Jahre nachdem ich Mucki das erste Mal gekuschelt habe, wird mir bewusst, dass das nicht für immer, und Liebe nicht selbstverständlich ist. Mich macht das traurig und glücklich gleichermaßen, ich denke an den Hasen, der in meinem Lieblingskinderbuch den Igel umarmt, obwohl die Umarmung wehtut, und ich denke, dass Liebe immer auch Schmerz bedeutet. Und vor allem spüre ich Wehmut, weil ich Muckis Existenz, sein Dasein in unserer Familie, sein Freuden-Bellen und seine liebevollen Tatzen auf meinem Körper, wenn ich traurig und wenn ich glücklich war, immer für selbstverständlich genommen habe. Manchmal habe ich sie gar nicht genommen, manchmal habe ich sie einfach übersehen, weil ich zu beschäftigt, zu über-voll war, mit irgendetwas anderem. Oft war ich zu verbissen, zu neidisch, zu besorgt um meine Zukunft, gedanklich zu tief in irgendeinem zukünftigen Projekt, emotional verstrickt in der Ferne, nicht in der Lage, Dankbarkeit im Jetzt zu empfinden. Und so habe ich die wunderschönen Selbstverständlichkeiten übersehen, die mein Leben schon immer so bunt gemacht haben.

So ist das nicht nur mit Mucki, sondern mit allen farblosen Netzen, vor allem in Bezug auf die Liebe. Elterliche Liebe mag selbstverständlich und bedingungslos sein (was ihr nicht weniger Dankbarkeit abverlangt!), Liebe zu Tieren vielleicht auch, der Rest ist es nicht. Freundschaften sind nicht selbstverständlich und Beziehungen sind nicht selbstverständlich, weil sie sich nicht von allein verständigen und autonom funktionieren. Wir investieren Zeit und Gefühle in Beziehungen und bekommen Zeit und Gefühle zurück. Wir lieben und wir streiten und Dinge werden alltäglich und dann manchmal farblos. Unsere Komfortzonen verschieben sich, wir regen uns über neue alte Dinge auf, wir fehl-kommunizieren, wir spüren Frust, wir sehen Farben, die heller strahlen. Jede:r hat das in Freundschaften oder Beziehungen schon erlebt. Das Wenigste ist für immer, und das ist auch okay, ich glaube aber schon, dass Mehr an diesen Unendlichkeits-Horizont gehört und dass wir dafür das Laster der Selbstverständlichkeit ablegen müssen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Liebe fühlen und Beziehungen führen und Menschen bis zu ihrem innersten Kern kennenlernen dürfen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir mit jemandem wachsen dürfen und dass wir unterstützt werden, weil jede:r Unterstützung braucht und Hilfe endlich ist.

Ich bin sehr dankbar, während ich das schreibe. Dankbarkeit fühlt sich warm an und wie Sonne, die sich ihren Weg durch den Körper bahnt.

Muckis Tumor im Bein wird nächste Woche operiert. Ich bin, oder will mir sicher sein, dass alles gut werden wird. Und ich weiß, dass ich mir in den kommenden Jahren mehr Zeit nehmen werde, um all die Dinge wertzuschätzen, die sich farblos durch meinen Alltag bewegt haben, die da sind – vielleicht nicht mehr da, wo ich gerade bin, aber die trotzdem da sind. Ich bin jahrelang gerannt, nicht hinter etwas her, wie ich immer dachte, sondern von etwas weg. Von mir. Ich habe Bestätigung und Identifikation im Außen gesucht und dabei übersehen, wie viel in meiner nächsten Nähe passiert. Und wie schön das ist. Rennen macht auf Dauer müde und Müdigkeit steht allem im Weg. Schlafen hilft besser gegen Müdigkeit als Kaffee, und Dankbarkeit und Perspektivwechsel lassen Selbstverständlichkeiten nurnoch temporär wie solche aussehen. Dafür braucht es Zeit. Die zu haben erscheint mir in diesem Moment wertvoller als das Meiste andere.

Header-Image: Unsplash

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