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Bombenstimmung

Bombenstimmung


„Hipp, hipp, hurra, alles ist super, alles ist wunderbar, Hipp, hipp, hurra, Alles ist besser, als es damals war“ – ich beobachte mich selbst dabei, wie ich in der Sauna sitze, an einem Samstagabend, die Musikbox schmilzt in der Mitte des Raumes, während Farin Urlaub und Bela B die wunderbare Welt besingen. Die Frauen neben mir wippen im Takt. Mir ist ein bisschen schlecht, vom Duft der Angolapitta – und vom absurden Gefühl der vorgespielten Normalität, die in diesen Tagen eine betäubende Wirkung hat. Während in Mariupol die Waffenruhe verletzt wird, gibt es Gedränge vor Berliner-Clubtüren, finden wieder Hausparties statt, machen Menschen Babies, fahren in den Urlaub, streiten über Belanglosigkeiten, bangen um ihr Aktiendepot, investieren in die Rüstungsindustrie, kriegen Corona, kriegen Schnupfen, sterben an Lungenentzündung, basteln Papierflieger, essen Spaghetti. Der schwere Schatten des Ukraine-Krieges schwebt über all dem und ich weiß nicht, wie ich es finden soll, dass wir Spaß haben dürfen, während sich eine humanitäre Katstrophe durch Europa zieht. Eine Freundin schreibt: „Weißt du, wenn uns die letzten beiden Jahre eins gelehrt haben, dann, dass man die guten Zeiten leben muss, wenn sie da sind.“ Das ‚uns‘ wird kleiner und ist von geopolitischen Zufällen bestimmt. Wir können uns gute Zeiten basteln, weil wir Nachrichten ausblenden können. Aber dürfen wir das auch?

Ich finde es schwierig, Texte zu schreiben, die Moral hinterfragen, in Situationen, die auf so vielen Ebenen überfordernd sind. Dürfen und Können und Müssen sind gesellschaftliche Leitfäden, die sich mit Zwang über Individuen spannen und Angst machen können, weil sie Fehlverhalten implizieren. Wir wollen uns nicht falsch verhalten, aber wir können es auch kaum richtig tun. So fühlt sich das zumindest für mich an. Ich finde die Nachrichtenflut belastend, all die Bilder und Graphiken und Eilmeldungen, die ungefiltert und teilweise ohne Einordnung in unser System fließen, die uns emotional so bewegen, dass wir manchmal gar nichts mehr spüren, weil sich Ohnmacht und Fassungslosigkeit ganz neblig anfühlt. Ich bewege mich ambivalent in diesem Nebel. Ich tapse zwischen „ich kann an der Situation sowieso nichts ändern“ zwischen dem Drang zu Aktionismus, der sich teilweise blind anfühlt, wenn mich der Impuls überkommt, mich ins Auto zu setzen und so weit zu fahren, wie ich komme, während ich mir einbilde, dass das etwas helfen würde.

Würde es nicht. Blinder Aktionismus hilft nie, weil er etablierte Strukturen ignoriert und aus dem Bedürfnis einer Befriedigung der persönlichen Ohnmacht heraus entstanden ist. Ich habe in den letzten Tagen verstanden, dass es hilft, zuzuhören und sein persönliches Leid zurückzustufen und in Mitgefühl umzuwandeln. Mitgefühl macht nicht taub und ängstlich, sondern wütend. Wut lähmt nicht, Wut ermöglicht zivilen Protest und Handlungsfähigkeit in alle Richtungen. Wut ergreift nicht so sehr Besitz über Körper und Geist wie Angst und Traurigkeit und Wut lässt die Schwermut der Welt ein bisschen kleiner erscheinen. Wut steht dem Gefühl von „man kann sowieso nichts machen“ entgegen und ich finde es wichtig zu betonen, dass jede:r handlungsfähig ist. Es gibt unzählige Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, die Geld brauchen, dass wir alle haben. Es gibt fast flächendeckend Demonstrationen und Kundgebungen, die von unserer Solidarität leben, die Unmut braucht und laute Ablehnung. Wir können etwas tun, wenn wir uns nicht lähmen lassen.

Um sich nicht lähmen zu lassen, muss man auch abschalten können dürfen. Ich habe schon oft gehört, dass niemandem geholfen ist, wenn es ‚uns‘, Menschen, die in Frieden leben und sich lediglich über die Spritpreise aufregen, auch schlecht geht. Ich habe das oft als faule Entschuldigung interpretiert, als eine leichte Erklärung, sich seinen Spaß nicht kaputt machen zu lassen. Ich kann mich gut in der Schwere der Welt verlieren, manchmal mag ich das Gefühl sogar. Ich sehe Urlaubsbilder von meiner Freundin und Bilder von kranken Kindern im Raketenschutzbunker. Bombenstimmung, denke ich. Und dann fällt mir auf, dass die Kinder trotzdem krank und trotzdem im Bunker wären, auch wenn meine Freundin weinend zu Hause säße. Es macht keinen Unterschied, weil ihr Leid anderes Leid nicht mindern kann. Ich denke an den Satz, dass man gute Zeiten so nehmen muss, wie sie kommen, und ich denke, dass sie recht hat. Und dass es einen Unterschied macht, ob wir uns hinter guten Zeiten verstecken, oder Energie tanken, um weiterhin unseren Beitrag leisten zu können, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Ich bin müde in Jahrhundertereignissen zu leben und ich mag nicht mehr ‚in diesen Zeiten‘ schreiben. Ich finde es aber gleichzeitig sinnlos, mich ständig zu fragen, wann es wieder besser wird. Normal ist perspektivisch und spätestens in den vergangenen zwei Jahren habe ich gemerkt, dass es normal sowieso nicht gibt. Unsere Welt ist viel zu globalisiert, unser Horizont viel zu weit dafür. Normal ist komfortabel und sicher, ich finde es okay, dass es diese Ordnung nicht mehr gibt. Dieser Zustand zwingt uns dazu, unsere Sicherheiten zu hinterfragen und festzustellen, wie konstruiert sie sind. Es ermöglicht uns, kreativ zu werden und nicht passiv und degenerierend vor uns hinzuleben, unser Häuschen zu bauen und auf den Tod zu warten.

Der Ukraine Krieg macht mich auf vielen Ebenen sehr nachdenklich. Mich berührt der Umgang mit ukrainischen Geflüchteten und die allgegenwärtige Hilfsbereitschaft so sehr. Ich verstehe was es heißt, in Europa zu leben, obwohl ich den verklärten europäischen Patriotismus immer abgelehnt habe. Ich hinterfrage meine durchweg pazifistische Grundeinstellung, und mich überfordert das Projekt Aufrüstung. Ich verstehe ganz praktisch, wie wichtig internationale Organisationen sind, und dass die NATO nicht hirntot ist, sondern sich bestenfalls auch neu hinterfragt, vielleicht sogar erfindet. Ich bewundere die Klitschko-Brüder und Wolodymyr Selenskyi, der zeigt, dass Politik nicht aufgeblasene Worthülsen ist, sondern ehrliche Hingabe für ein größeres Ziel. Nationalismus hat für mich seinen Schrecken verloren, während er sich im Bärenkostüm auf der anderen Seite zum Monster deformiert hat. Ich denke viel über die russischen Zivilst:innen nach und wie sehr sie unter Putin leiden, wie gewaschen viele ihrer Gehirne von der Staatspropaganda sein müssen, wie krank ich das finde und manchmal frage ich mich, was all die Artillerie mit unserem Klima macht.

Hast du Angst vor einem dritten Weltkrieg?“ Ich sitze neben meinem Freund im Auto. Er schüttelt den Kopf. „Nein. Alles was passiert, passiert“, sagt er, und ich spüre dabei, dass alles um uns herum so viel größer ist als wir selbst. Mir macht das in diesem Moment keine Angst, mich erleichtert es irgendwie, weil ich merke, dass wir nichts in der Hand haben, außer, dass es uns punktuell gut geht. Wir haben die Möglichkeit, uns um uns zu kümmern, und um andere, vielleicht ist das unsere einzige Pflicht, vielleicht bedeutet das, auf der Welt zu sein und dabei Sinn zu spüren. Corona und der Ukraine-Krieg und sämtliche andere Kriege und humanitäre Katastrophen, in Afghanistan und in Syrien, im Jenen und in Mali, zeigen mir, uns, dass es sich nicht lohnt, über Belanglosigkeiten zu streiten oder sich um die Zukunft zu sorgen, weil es Dinge gibt, die größer sind als wir, die uns erschüttern, wenn wir unsere Normalität wie Lego bauen, ohne Resilienz gegen das Ungewisse. Mich beruhigt, dass es uns allen gleich geht und dann frage ich mich, warum wir uns nicht einfach liebhaben können.

Foto: Unsplash