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Ciao Cool Girl

Ciao Cool Girl


In Kanada regnet es mindestens drei Mal so viel, wie die Sonne scheint. Das Mädchen, das ich über Bumble Friends kennengelernt habe, hat zu mir gesagt, dass ich die weißesten Beine habe, die sie je gesehen hat. Meine Gast-Mama hat „so einen schrecklichen Sommer seit 2009 nicht erlebt“, und deshalb wird sich das mit meinen Beinen in den kommenden fünf Wochen wohl auch nicht ändern. Die Wetter-App für Montréal sagt zehn Tage Regen, und ich hänge bei AirCanada in der Warteschlange, weil ich nach Hause will, und zwar sofort.

Ich dachte immer ich sei ein Travel Girl, jede freie Minute nutzend, um den nächsten Trip zu planen, niemals im Hotel, wie uncool, sondern irgendwo, wo es aufregend ist. Als meine Luftmatratze letztes Jahr beim Campen im Zelt in Frankreich mitten in der Nacht die Luft verloren hat, habe ich mich ins Hotel gewünscht und mir geschworen, dass ich nurnoch Luxus Camping mache in Zukunft. Ich neige dazu, diese Gedanken zu vergessen und Dinge retrospektiv zu verklären. Campen, wie romantisch, und auf dem Boden schlafen ist doch gar nicht so schlimm. Ich nehme mich also als richtiges Camping-Girl war, einen Karabiner immer am Schweizer Taschenmesser tragend, mit einem stählernen Magen, der Leitungswasser von überall verträgt. Ich mag dieses Bild von mir und ich vergesse immer wieder, dass es leider nicht mit dem übereinstimmt, wie ich tatsächlich bin. Ich hasse Camping. Dieses Missverhältnis spüre ich erst dann wieder, wenn Cool Girl einen Plan in die Tat umgesetzt hat, der mich überfordert. Cool Girl verlässt mich am Flughafen und dann frage ich mich, warum sie sich immer in mein Leben einmischt.

Jetzt sitze ich also hier, in Montréal, außerhalb von der Stadt in einem kleinen Zimmer mit hellblauen Vorhängen, die ab 5 Uhr morgens das Licht durch- und mich nicht schlafen lassen, ärgere mich täglich über das Wetter und rechne mir fast stündlich aus, wie lange ich noch hierbleiben muss, in allen möglichen Zeitangaben. Ich denke müssen und nicht dürfen und das macht mich in doppelter Hinsicht fertig: weil ich weiß, was für ein riesiges Privileg es ist, überhaupt zwei Monate an einem fremden Ort zu sein, den man sich als Reiseziel ausgesucht hat, und auch weil ich sehr lange gespart habe, um mir etwas zu ermöglichen, dass ich im Jetzt eigentlich total doof finde. Zwang zu Genuss funktioniert leider nicht und mein Plan und meine Bedürfnisse stimmen nicht überein. Ich fühle mich wie ein Puzzleteil, das leider vertauscht wurde und deshalb nicht ins Puzzle passt, egal wie fest man die Pappe drückt. Ich finde das schon sehr bedauerlich, weil Sommer ist meine Lieblings-Jahreszeit und ich verschwende sie mit Trübsal-Blasen unterm Regenschirm.

Während ich bei AirCanada in der Wartschlange hänge, um meinen Rückflug auf morgen umzubuchen, frage ich mich, warum ich mich immer wieder in Situationen begebe, die mich überfordern, oder mir nicht wirklich entsprechen. Man lernt sich zwischen 20 und 30 wohl immer noch kennen, und über manche Verhaltensmuster wächst eben nur sehr langsam Gras. Ich merke, schon in den letzten Jahren und jetzt besonders, dass sich meine Bedürfnisse verändert haben, und auch meine Vorstellungen von dem Schönen. Das hängt wohl mit dem Alter zusammen, aber auch mit den Erfahrungen, die man gemacht hat und mit den Menschen, mit denen man sich primär umgibt. Ich merke, dass ich Zufriedenheit über Abenteuer stelle und dass ich krass sein anstrengend finde und auch irgendwie uncool und ganz eng verwoben mit Rastlosigkeit. Wenn ich hier durch den Park laufe, und die Pärchen sehe, die picknicken, oder die Familien, die Fußball spielen, oder die Girls und Boys, die im Kreis sitzen und quatschen, dann wird mein Herz ganz schwer, weil ich mich auch nach Nähe sehne, mehr emotional als körperlich, und weil ich finde dass es nichts Schöneres gibt, als mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt. Ich bin nur mit Cool Girl zusammen und das auch nur, wenn sie sich mal blicken lässt, und das macht mich sehr, sehr einsam.

Gestern habe ich mir den Sonnenuntergang angeschaut, zwischen zwei Fischern sitzend, und habe geweint, als wäre ich einer der Fische an der Angel. Weil ich es tragisch finde, dass sich Cool Girl nicht eingestehen kann, dass sie kein exotisches Ausland braucht, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Ich gehe also in mich, während die Enten auf den Wellen des Flusses eine Party feiern und denke 1., dass ich an meiner misslichen Lage selbst schuld bin, und 2., dass jede missliche Lage eine Möglichkeit ist, zu lernen. Ich lerne also im romantischen Sonnenuntergangs-Setting, dass ich es super ätz-nervig finde, alleine zu reisen, weil mir Small-Talk all meine Energie raubt und weil ich Momente nicht nur mit der Frontkamera meines Smartphones teilen möchte. Wobei ich das eigentlich weiß. Primär denke ich in diesem Moment, und auch in den Momenten danach, dass ich meine Bedürfnisse nicht wegschieben darf, weil ich gerne andere hätte, sondern ernst nehmen muss. Weil ich diejenige bin, die ansonsten am meisten leidet. Und wenn Cool Girl Hotel- und Wanderurlaub mit dem Partner spießig findet, dann ist sie wirklich in den early 20s stecken geblieben, poor girl.

Ich habe meinen Flug heute nicht umgebucht, noch nicht umgebucht, weil meine Verzweiflung und meine Einsamkeit noch nicht ihren Tiefpunkt erreicht haben. Den Sommer habe ich irgendwie schon abgehakt, und weil ich aufgehört habe zu rauchen vor ein paar Jahren und fleißig Sonnencreme benutze, werde ich sowieso noch mehr Sommer erleben, als ich eigentlich dachte. Dass das Leben zum Genießen und nicht zum Aushalten da ist weiß ich mittlerweile, aber ich bin mir nicht sicher, ob Cool Girl das Ding mit den Bedürfnissen schon verinnerlicht hat, vielleicht bleibe ich auch deshalb noch. Meine Freundin hat mich heute am Telefon gefragt, ob es nicht irgendwas gibt, dass es mir leichter macht, auf das ich mich freue, irgendwas, dass allein sogar mehr Spaß macht als zusammen. Ich habe stur mit Nein geantwortet, aber ich glaube das stimmt nicht. Ich glaube alle Möglichkeiten des potenziellen Well-Beings sind noch nicht ausgeschöpft und auch wenn ich weiß, dass ich erstmal nicht mehr allein wochenlang auf Reisen sein muss und möchte, dann ist Reisen alleine gleichzeitig immer eine Chance. Auch wenn es nur die ist, sich endlich richtig mit Cool Girl auszutauschen.

Vielleicht fliegen wir beide auch nächste Woche nach Hause, aber vielleicht wird’s doch noch ganz schön hier, und dann können wir unsere nächste Reise genau nach unseren tatsächlichen Bedürfnissen ausrichten, mein innerer Druck, und ich.

Fotocredits: unsplash