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Die Könnte-Frau

Die Könnte-Frau


„Heute hatten wir im Musikunterricht ein Referat zur Harfe. Es gab eine Zeit, da durften nur Männer spielen, weil nur ihnen die Komplexität des Instruments zugetraut wurde. Du hättest dich gefreut, was in der Klasse los war.” Meine Mutter schreibt über empörte Mädchen und empörte Jungs. Und dass dann die Stunde vorbei war – dass sie sich aber morgen mit dem Thema Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen beschäftigen werden. Meine Mutter ist Grundschullehrerin, ihre Schülerinnen und Schüler sind nicht einmal zehn Jahre alt. Und trotzdem wissen die Leons und Lisas dieser Zeit, dass auch Frauen Harfe spielen können – natürlich können sie das. Ein Querschnitt der deutschen Vorstände sollte sich mal zu meiner Mutter in den Musikunterricht setzen. Männer spielen Harfe, und Frauen tun das auch. Männer leiten Unternehmen, und Frauen tun das auch. Tun sie das? 2019 lag der Anteil der von Frauen besetzten Vorstandsposten bei 9%. Frauen machen 52% der Weltbevölkerung aus. Unterrepräsentation könnte nicht beispielhafter erklärt werden. In dieser Woche hat sich die deutsche Bundesregierung auf eine landesweite Frauenquote geeinigt, die für börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern zukünftig mindestens eine Frau vorsieht. Also 30% Frau. Die Gleichberechtigungsdebatte hat neuen Zündstoff. Dieses Mal ist der Diskurs aber ein anderer: Die Frauenquote scheint sich selbst zu endstigmatisieren. Was passiert grade im Gleichberechtigungs-Dschungel?

„Ich bin eine Quotenfrau“

Passend zur Gesetzesänderung titelte der Stern: „Ich bin eine Quotenfrau“, fett und rot, untermauert mit bunten Portraits von bunten Frauen des öffentlichen Lebens. Dabei erinnert die Aufmachung an das 1971 erschienene Tabu-Thema: „Wir haben abgetrieben“. Damals ging es um die Selbstbestimmung der Frau, heute geht es um Strukturen – die Selbstbestimmung steckt im patriarchalen Tunnel und braucht dringend Fahrtwasser.

Palina Rojinski strahlt zwischen Ursula von der Leyen und Marie Nasemann in die Kamera. Die Frauen könnten kaum unterschiedlicher sein: was sie eint, ist ihr prominenter Status. Und der Titel „Quotenfrau“. Sie beschreiben sich selbst als solche, sie sind stolz darauf, sagen die meisten, weil es wichtig ist, dass Frauen gehört und wahrgenommen werden. Eine Quote ist erstmal nur ein Anteil einer Gesamtanzahl. Eine Quotenfrau ist demnach eine Frau, die auf Grund der Anteilsregelung in einer bestimmten Position tätig ist. „Das ist unfair“, sagt meine Freundin. „Ich will nicht eingestellt werden, nur weil ich eine Frau bin.“ Darum geht es nicht. Es geht nicht um Bevorzugung, es geht um Chancengleichheit. „Ich möchte eingestellt werden, obwohl ich eine Frau bin“, antworte ich und verstehe nicht, warum das Thema Quotenfrau so negativ behaftet ist. Natürlich wäre es schöner, wenn wir das nicht brauchen würden. Wenn sich die Geschlechterverhältnismäßigkeit ganz natürlich und gleich einpendeln würde. Ich bin immer gegen Zwang und für Freiwilligkeit. Die unsichtbare Hand des Marktes gibt es bei der binären Verteilung von Jobs aber nicht. Männer werden bevorzugt in Vorstände und Aufsichtsräte gewählt, und auch im Bundestag sind Frauen mit knapp 30% unterrepräsentiert. „Man kann die Frauen aber nicht zwingen. Vielleicht wollen sie einfach nicht in die Chefetage.“ Die Chefetage – Testosteron-Sperrzone. Das Fehlen der Frauen in Führungspositionen kann mit dem Gender-Pay-Gap verglichen werden. Eine Korrelation mag weit hergeholt sein – aber ich finde den Vergleich wichtig, um das Grundproblem zu verstehen. Frauen wollen auch Karriere machen – sie werden aber oft strukturell ausgegrenzt und können deshalb nicht! Laut statistischem Bundesamt haben Frauen 2019 im Durchschnitt 20% weniger verdient als Männer. Ob Frauen das so wollen? Ich glaube kaum.

Wirtschaft ist nicht männlich

So ist das auch in den Vorständen. Die Frauen wollen – die Zugangsbarrieren sind aber so hoch, dass viele es sich anders überlegen. Frauen können Mütter sein, Männer können Väter sein. Bei Männern ist diese Tatsache für das Arbeitsverhältnis meistens kein Problem, bei Frauen schon. Frauen fallen aus, wenn sie in Mutterschutz sind, in Elternzeit, wenn das Kind Schnupfen hat und Heimweh. Trotz Emanzipation und Unterscheidung der Rolle der Frau und der Rolle der Mutter haben Frauen es schwerer, Chefpositionen zu besetzen. Menschen sind Gewohnheitstiere. Der alte weiße Mann wird am liebsten vom alten weißen Mann ersetzt und Frauen wird Kompetenz abgeschrieben – weil sie Frauen sind. Die Gesellschaft verändert sich, diese Veränderung muss auch von den Unternehmen, die die Gesellschaft (finanziell) mitbestimmen und gestalten, getragen werden. Vorstand bedeutet Repräsentation und Verantwortung, Aufsicht bedeutet Sicherheit. Wir brauchen auch Frauen in diesen Positionen, weil die weibliche Stimme gehört werden muss. Nicht nur aus dem Publikum, sondern auch aus der Regie. Die Frauenquote ist eine Chance, nachzuholen, was nicht nur die Wirtschaft verpasst hat.

Verantwortung abgeben und Systeme neu ordnen

Die Frauenquote ist ein wichtiger Schritt, um den Stellenwert der Frau in der Gesellschaft auch strukturell zu ebnen. Die Quote sollte nicht als Zwang gesehen werden, sondern als Mittel zum Zweck. Macht gibt niemand freiwillig ab. Strukturen ändern sich nicht von heute auf morgen. Das ist schade, aber das liegt in der Natur des Menschen. Wir sollten zulassen, uns selbst zu überraschen, mit Überfälligkeiten, die wie faules Obst auf dem Boden gären und stinken, wenn man sie weiterhin ignoriert. Das Frauenwahlrecht wurde übrigens vor 102 Jahren eingeführt.

Das Quoten-Dilemma

Dass und warum ich die Frauenquote wichtig und sehr überfällig finde, ist hoffentlich klar. Problematisch finde ich sie in einem Belangen trotzdem. Die Frauenquote stützt das Verständnis eines binären Geschlechterverhältnisses und schließt alle aus, die anders sind. Intersexualität in Führungspositionen? Auch das noch – höre ich Friedrich Merz sagen – wir haben gerade wichtigere Probleme. Nein, haben wir nicht. Wenn wir über die Frauenquote sprechen, dann müssen wir über Repräsentation und Gleichberechtigung im Ganzen reden. Wir sind weiter, als die schwarz-weiße Box Mann-Frau. Der Anteil von Menschen mit Behinderung liegt bei knapp 10%, der Anteil Transsexueller bei knapp einem Prozent, in Deutschland leben mehr als 19 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Dass man nicht für jede Minderheit eine Quote einführen kann ist klar. Dass Frauen keine Minderheit sind ist auch klar, und dass sich Attribute überschneiden auch. Ich plädiere weder für eine Quoten-Flut, noch für unverhältnismäßige Verteilung von Ämtern. Ich wünsche mir aber, dass die Leistungen aller Menschen gleichermaßen gesehen werden und dass alle Stimmen gleich viel zählen. Ich bin für das Leistungsprinzip und ich finde es wichtig, dass Ämter nach Qualifikation besetzt werden. Aber ich wünsche mir, dass der patriarchale Gewohnheitsmechanismus durchbrochen und unsere Gesellschaft auch in Führungspositionen so repräsentiert wird, wie sie ist: nämlich bunt und sehr viel weniger männlich, als so mancher das glauben mag.

Währenddessen spielt irgendwo auf der Welt jemand Harfe.

Foto: Unsplash