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Och, Fynn

Fynn Kliemann – Kapitalisiertes Gutbürgertum stinkt


Wüsste man nicht um die Vorgeschichte, könnte man auf den ersten Blick ganz unvoreingenommen meinen, dass es ihm tatsächlich leidtut, wie er dasitzt, betrübt auf seinen Zettel blickt und sein Statement vorliest. Fynn Kliemann kennt seit diesem Freitag wohl fast jede:r. Normalerweise würde ihn diese Medienwirksamkeit freuen, normalerweise funktioniert das auch ganz gut: die Inszenierung als planloser Hipster, der die Welt nicht nur ein bisschen verrückter, sondern auch ein bisschen besser macht und dabei tut, was er will, in einem Hamsterrad, dass mit Lebensfreude betrieben wird.

Auf den zweiten Blick ist seine Entschuldigung aber genauso fake wie sein Altruismus in Krisen.

Jan Böhmermann hat mit seinem Team vom ZDF Magazin Royale in dieser Woche die Ergebnisse von Recherchen veröffentlicht, die das hart erarbeitete Kliemann-Image zum Wackeln bringen. Hauptaugenmerk liegt auf einem Maskenskandal, den man eigentlich nur aus CDU-Kreisen kennt. Ich möchte den Skandal an dieser Stelle nicht zusammenfassen, weil die komplette Tragik sich erst nach eigener Rezeption vollkommen erschließt. Sämtliche Medien haben sich in den letzten Tagen schon an der Causa Fynn Kliemann abgearbeitet. Ich habe viel darüber nachgedacht und finde das alles auf so vielen Ebenen erschütternd. Ich schreibe aus zwei Perspektiven. Aus einer persönlichen, als ehemaliges Fan-girl, und aus einer Objektiveren, Politischen, als Beobachterin des Verantwortungsvakuums in einer egoistischen, sich weg-duckenden Ecke der Gesellschaft.

Vor zwei Jahren war ich mit meiner Freundin Coco im Kliemannsland. Fynn hat ein zweitägiges Festival veranstaltet und seine Fans ganz nah herangelassen, an die damalige Krone seiner Schöpfung. Die Musik war so naja und der zweckentfremdete Baum in der Mitte des Geländes, der mit Steckdosen versehen war, war besser besucht als die Tanzfläche. Alle waren live auf Insta – ein Influencer-Festival, hat Coco damals gesagt – haha. Wir fanden den Ticketpreis von über 100€ für zwei Tage schon damals ziemlich überzogen, aber für Woodstock sind wir eben zu jung und die Kommerzialisierung der Festivalkultur gehört wohl einfach zu den 2010er Plus Jahren dazu. Ja, manchmal ist es schwer, ein Kind seiner Zeit zu sein. Fynn habe ich kaum gesehen, nur manchmal, mit seinen Viva con Aqua boys, Zigarette rauchend, das Treiben beobachtend. Uns kleine Jünger und Jüngerinnen, wie Grashüpfer auf seinem Boden herumspringend. Ich habe in den darauffolgenden Wochen oft gedacht, dass es geil sein muss, Fynn Kliemann zu sein. „Sich einmal so fühlen, wie Fynn Kliemann sich immer fühlt“, habe ich gedacht, sein Selbstbewusstsein und sein Machertum bewundernd.

Ich habe dabei nicht verstanden, dass Fynn Kliemann eine Marke erschaffen hat, die er jeden Tag verkauft, ohne, dass wir es merken. Fynn teilt online seinen Alltag, seine Franzi, seine Tiere, seine Kunst, seine Freunde, seine Musik, seine Mode, seine Häuser. Dabei verkörpert er die Summe aus jedem Baumarkt-Slogan der Welt und gibt seinen Zuschauer:innen das Gefühl, dass alles ganz leicht ist. Fynn kennt keine Müdigkeit und keine Überarbeitung, keine Beziehungsprobleme und keine kreativen Löcher. Fynn ist schön und cool und braucht so wenig zum Leben. Geld ist ihm eigentlich egal – es kommt, und geht – Nachhaltigkeit und Egalität sind ihm viel wichtiger, jo.&#160;<strong>Fynn hat den Zeitgeist nicht nur gespürt, sondern ihn gefangen genommen und versklavt und damit online und immer abrufbar, den postmateriellen Traum von Generation Y-Z erfüllt.&#160;&#160;</strong>Deshalb habe ich ihn so bewundert. Umso wütender macht es mich, dass seine Authentizität Teil seiner Marke ist, dass er sich selbst verkommerzialisiert – und die Träume nach Freiheit und Gleichheit und einem Hof irgendwo im Grünen von sämtlichen jungen Menschen dafür missbraucht hat.

Wertekompass und Verantwortungsvakuum

Auch wenn man keine emotionale Verbindung zu Fynn Kliemann hat, fällt es schwer, ihn (moralisch) nicht zu verurteilen. Es sind die Grundzüge von Ehrlichkeit, dass man nicht Bangladesch bestellt und Portugal sagt, und sich dabei großartig fühlt, weil man sich so viel schlauer weiß als all die anderen Menschen. Es sind die Grundzüge von Moral, dass man sich nicht am Leid von anderen bereichert. Und es ist Grundzug vom Grundgesetz, dass alle Menschen gleich sind. Geflüchtete auf Samos und in Bosnien sind auch Menschen, auch wenn das so manche Grenzpolizisten und Influencer immer noch nicht wahrhaben wollen. Dass Fynn qualitativ minderwertige Masken zu besonders schutzbedürftigen Menschen geschickt hat, welch altruistische Tat, finde ich an der ganzen Sache am aller-, Allerschlimmsten!

Fynn hat sich während des Höhepunktes der Unsicherheit der Corona-Krise im Jahr 2020 mit seinem vermeintlich fairen Maskenhandel als Retter inszeniert. Er hat seine Reichweite und die kollektive Angst und den Notzustand medizinischer Versorgungsutensilien genutzt, um Profit zu generieren. Dabei hat er sich als besonders nachhaltig dargestellt, und Portugal ganz bewusst mit Bangladesch vertauscht. Diesen Prozess nennt man nicht nur ekelhaft, sondern auch greenwashing.

Fynn wurde es aber auch leicht gemacht, die Betrugsnische vor der Nase quasi als lukrative Geschäftsidee präsentiert: Auch wenn Jens Spahn mittlerweile von der politischen Bühne verschwunden ist, war&#160;<em>er</em>&#160;damals für den Schutzmasken-Engpass verantwortlich. Ein Verantwortungsvakuum entstand, in das Fynn gehüpft ist. Krise kann eben auch geil sein!

Während Fynn öffentlich immer gerne behauptet, dass er gar nicht so recht weiß, wie viel Geld er eigentlich hat (Mensch, was ein bodenständiger, sympathischer Typ!), nur, dass es nicht viel ist, weil er es sowieso immer wieder in neue Projekte steckt, hat er dem Spiegel in einem Interview erzählt, dass er in der Masken-Affäre mehrere 100.000 Euro Netto-Gewinn gemacht hat. Für ein Projekt, aus dem man keinen Profit ziehen will, ist das ganz schön viel.

An all dem hängt ein Rattenschwanz, dessen Ausmaß enorm ist. Fynns Integrität ist in Bangladesch in einer Textilfabrik verbrannt. Damit deligitmiert er all seine vorherigen Projekte, weil sich ein Mensch nicht einfach so ändert. Ich frage mich, wie viel Geld Fynn im Kliemannsland unter seinen Tomatenpflanzen und Achterbahnen vergraben hat, weil ich mir jetzt nicht mehr vorstellen kann, dass Altruismus und Selbstverwirklichung die Treiber seiner Projekte waren. Häuser renovieren und Urlaub demokratisieren, aber intransparent genug bleiben, um abzucashen? Ich denke mit einem schweren Gefühl an die gelb-blauen Mützen, die Fynn zu Beginn des Ukraine Krieges in seinem Shop verkauft hat. Kann Krieg auch geil sein, Fynn?

Fynn Kliemann zeigt auf die bitterste aller Weisen, dass es lange funktionieren kann. Mit Gefühl für den Zeitgeist, Charme und Kreativität funktioniert es, Menschen zu hintergehen und sich gleichzeitig an ihnen zu bereichern. Die Schnelligkeit in den sozialen Medien spielt dabei eine riesige Rolle. Es ist leicht, sich in jede beliebige Richtung zu inszenieren und es ist leicht, auf der Diskurs-Welle unserer Zeit zu surfen. Es ist Trend, nachhaltig zu leben und es ist cool, nachhaltig zu konsumieren. Fynn Kliemann ist nicht der Einzige, der sich diesen Trend (übrigens auch Folge einer globalen Krise, nämlich dem Klimwandel) zu Nutze gemacht hat. Greenwashing ist ein Modewort. Leider versteckt es sich als reale Gefahr für die Erde in unzähligen Ecken unseres Lebens. In Ocean Bracelets und grünen Aktien-Fonds, und großen Banken und CO2 Neutralisations-Cents bei Flugreisen und undurchsichtigen Unternehmensstrukturen von NGOs. Wir wissen das. Es ist common knowledge, dass große Firmen große Gewinne machen wollen, wir alle wissen, dass wir im Kapitalismus leben.

Umso tragischer finde ich es, dass sich ein Typ, der eigentlich auf unserer Seite steht, der online den Traum von Selbstverwirklichung lebt und dabei ein guter Mensch ist, als das Gegenteil entpuppt. Ich finde es nicht schlimm, dass Fynn Kliemann Kapitalist ist. Es geht darum, dass Fynn von Anfang an seine vermeintliche Freundschaft und sein ‚nachhaltiger als andere sein‘ verkauft hat. Im Nachhinein ist diese Inszenierung allerdings alles, was er tatsächlich nicht ist. Damit ist seine ganze Karriere ein einziger Betrug. Fynn Kliemann ist das Mensch gewordenen ‚pay what you want‘ Kaffee, weil man am Ende immer ein bisschen mehr bezahlt, weil man dadurch das Gefühl bekommt, ein besserer Mensch zu sein und ein bisschen mehr geliebt zu werden. Dass man Geschäftliches und Privates besser trennt, wird hier sehr deutlich. Die Causa Kliemann zeigt, dass man immer stutzig werden sollte, wenn Leute dieses vermischen, denn ein Geschäft ist am Ende immernoch ein Geschäft.

Fynn Kliemann war für mich immer der Inbegriff von Freiheit. Mir ist in den vergangenen Tagen mal wieder aufgefallen, wie sich Gier giftig durch gesunde Köpfe frisst und wie unreal soziale Medien sind. Und dass niemand vor dem Hamsterrad geschützt ist. Im Nachhinein wundert es mich, dass mir sein arroganter Egoismus, versteckt hinter der planlos-süßen Boy-Fassade, bis dato nicht aufgefallen ist. Heute ist Sonntag und Fynn hat wenig von alldem zugegeben, obwohl es Beweise gibt. Ich hätte mir gewünscht, dass er wenigstens zu seinen Fehlern steht, als Person des öffentlichen Lebens hat Fynn eine Verantwortung. Hier entsteht ein neues Vakuum, das von niemand anderem gefüllt werden kann.

Foto: unsplash

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