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Profisport: Wir müssen über Homophobie sprechen


Die Allianzarena strahlt in Regenbogenfarben. Sie sieht prachtvoll aus, stolz. Eingebettet in diese Farben ist sie ein Zeichen für Inklusion, Toleranz und Vielfalt – Attribute, mit denen sich der Profi- Fußball gerne schmückt. Dass sie international mehr Kostüm als Überzeugung sind, zeigt die heutige Entscheidung der Union der Europäischen Fußballverbände (UEFA). Die Allianz-Arena strahlt beim morgigen Deutschlandspiel nur aus dem Archiv, die UEFA verbietet Regenbogen. Diese Entscheidung öffnet das Fass der Homophobie im Profi-Sport und zeigt, dass Wirtschaftlichkeit teils schwerer wiegt als Würde.

Eine kurze Vorgeschichte

Seitdem Victor Orbán ungarischer Ministerpräsidenten ist, rückt das Land betont nach rechts. Es wendet sich nicht nur von Prinzipien und moralischen Überzeugungen der Europäischen Union ab, sondern verwandelt Ungarn in eine Demokratur, die zurück ins 20. Jahrhundert gereist zu sein scheint. Die Kernfamilie – Mutter, Vater, Kind – ist als Idealbild in der Verfassung festgeschrieben, Homosexualität wird offen diskreditiert und immer mehr aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Kürzlich stellte die ungarische Regierung Pädophilie mit Homosexualität gleich und entzog homosexuellen Paaren das Recht auf Adoption. Trotz Massen-Protesten setzt Orbán seine homophobe Linie fort. Vergangene Woche hat das ungarische Parlament ein Gesetz erlassen, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homo- und Transsexualität einschränkt. Praktisch bedeutet das, dass in Zukunft Bücher, Broschüren und Werbung verboten sind, die eine andere Art der Familie zeigen. Aufklärungskampagnen, auch in Schulen, werden verboten. Orbán behandelt Homosexualität wie eine Seuche, die es auszurotten gilt. Dass ein Land, in dem Menschenrechte auf diese Weise mit Füßen getreten werden, überhaupt bei einem internationalen Sport-Event teilnehmen darf, ist verwunderlich.

Diese Diskussion zielt aber auf das Gefüge der EU als institutionelle Einheit und Sanktionen gegen Abweichler ab und führt an dieser Stelle zu weit. Trotzdem muss die aktuelle politische Situation Ungarns bekannt sein, um das Verbot der UEFA einordnen zu können.

Die Verabschiedung des eben erwähnten Gesetzes stieß international auf Unverständnis. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter stellte daraufhin einen Antrag, die Allianz-Arena beim Spiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben, dem Erkennungszeichen der LGBTQI* Community anzuleuchten. Ein stiller Protest, ein Zeichen deutscher Abgrenzung. Die UEFA, sich selbst als politisch neutrale Organisation brüskierend, intervenierte: Fußball und Politik müssten getrennt betrachtet werden, alle austragenden Länder der hiesigen Europameisterschaft hätten sich an die einheitlichen Stadion-Design-Vorgaben zu halten. Währenddessen liefen die Ermittlungen gegen den Deutschen Fußballbund (DFB) bereits auf Hochtouren. Es ging weder um Corona-Regulationen noch um Doping, sondern um eben jene Regenbogenfarben, dieses Mal auf der Kapitänsbinde Manuel Neuers.

Fußball ist politisch

Dass Fußball und Politik getrennt betrachtet werden können ist naiv. Die Gesellschaft besteht aus Systemen – Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport –, die alle ineinander verwoben sind und sich gegenseitig bedingen. Sport kann sich nicht frei machen, von den Entwicklungen, die gesellschaftlich stattfinden. Dass die UEFA genau das versucht, ist grob fahrlässig. Fußball, vor allem internationale Wettbewerbe, leben von den Menschen, die sie verfolgen: Von feiernden Fans, gesundem Patriotismus und dem Gefühl, durch Sport verbunden zu sein. Profi-Fußball braucht diese Fans. Profi-Fußball braucht aber auch Sponsoren. Viele dieser Sponsoren kommen aus dem arabischen Raum, vor allem aus den Emiraten, wo Homosexualität strafbar ist. Wenn die UEFA ein Zeichen gegen Homophobie ablehnt und sich als Legitimationsgrundlage auf politische Neutralität stützt, dann steht die Frage der Sportlichkeit im Raum. Fußball scheint zu einem Auswuchs kapitalistischer Dekadenz verkommen zu sein, wenn Homophobie akzeptiert wird, um finanzielle Liquidität zu sichern. Findet diese EM für ihre Sponsoren, oder für ihre Fans statt?

Toxische Maskulinität

Homophobie im Profi-Sport, vor allem im Fußball, ist still und schmerzhaft und weit verbreitet. Sie ist überreif und muss durchbrochen werden, um den Profi-Fußball nicht langsam ins rechte Abseits zu drängen. Obwohl auch im Sport immer mehr über Homosexualität gesprochen wird und Sportler ermutigt werden, sich zu outen, spielt in den deutschen Profiligen der Männer kein einziger Spieler, der schwul ist. Es mag ihnen auf Grund traumatisierender Kommentare im Laufe ihrer Karriere abtrainiert worden sein, vielleicht trauen sie sich auch einfach nicht, offen über ihre Sexualität zu sprechen. Homosexualität ist so emotionalisiert wie tabuisiert. Schwul gilt auf dem Fußballplatz immer noch als Schimpfwort, mit dem „echte Kerle“ um sich schmeißen, toxische Maskulinität wie eine zweite Haut um sich gelegt. Justin Fashanu war der erste Profi-Fußballer, der sich outete. Das war 1990. Einige Jahre später erhängte er sich. Angelo Knorr, vierter Präsident des FC Bayern München, wurde viele Jahre zuvor wegen Homosexualität verhaftet. Seitdem wird Homosexualität vor allem in Trainerkreisen als nicht vorhanden behandelt. Wenn sich Spieler outen, dann erst nach ihrer Karriere, so wie Thomas Hitzelsberger 2014.

Überreife Veränderung

Das ist ein riesiges Problem. Sportler sind seit jeher Vorbilder, Sport ist nicht nur Unterhaltung, sondern für Viele ein wichtiger Lebensinhalt. Deutschland ist zu einem großen Teil Fußball. Ein so wichtiger Teil der Kultur darf nicht einfach verkommen, weil er den Zeitgeist ignoriert und sich über gesellschaftliche Entwicklungen stellt. Homosexualität hebt sich endlich aus den Fängen der Diskriminierung. Wenn das nicht auch im Profi-Sport passiert, dann werden sich immer mehr Menschen abwenden und Verbände werden in Rechtfertigungsproblemen ertrinken. Es kann nicht sein, dass Spielerfrauen als Sexbomben gehandelt werden, während alte weiße Männer in Trainerteams und Chefetagen Kabinenwitze machen, während Toleranz gepredigt wird. Es ist höchste Zeit, dass Homosexualität und Profi-Sport sich nicht mehr gegenseitig ausschließen. Der Aufschrei wäre wohl groß, wenn das Sportmagazin Kicker ein schwules Paar titeln würde. Dieser Aufschrei hat keine Berechtigung. Das schwule Paar schon.

Wie der DFB mit dem morgigen Spiel umgeht, bleibt spannend. Sämtliche Bundesliga-Clubs haben bereits angekündigt, ihre Stadien in den Regenbogen-Farben anzustrahlen. Ein wichtiges Zeichen. Die UEFA hat die Möglichkeit einer innovativen und inklusiven Selbstdarstellung leider verpasst. Sie muss sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen vom (internationalen) Fußball abwenden. Ob sie das stören wird ist fraglich – es scheint, als würde Fußball in ihrem Verständnis sowieso für die Sponsoren gespielt.

Foto: Unsplash