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Mein innerer Planet


Ich schreibe viele Texte, die ich für mich behalte. Die auf der Hardware meines Laptops einstauben, weil mein Perfektionismus sie an den stillen Ort der Unkenntniss verbannt hat. Weil sie mir zu plakativ erscheinen, zu wenig tiefgründig oder nicht durchdacht genug. Ich schäme mich manchmal für meine Gedanken und manchmal komme ich mir ein bisschen irre vor, meine Gedanken auf Papier, ein wildes Labyrinth aus Wortsalat. Schreiben und Schreibblockaden sind symbiotisch miteinander verbunden und der größte Endgegner meiner Kreativität ist Druck. Er baut sich langsam auf, lässt sich gut ignorieren. Eine Haselnuss im Hals, eine kleine ohne Schale. Kein Problem, denke ich dann. Ich glaube mir das auch und ich glaube das so lange, bis die Haselnuss sich in eine Walnuss verwandelt und die Walnuss in einen Tennisball und der Tennisball in einen ganzen Planeten. Ich bekomme dann keine Luft mehr, weil ich von innen drohe zu platzen, weil sich meine Organe nach außen stülpen wollen, dem Planeten, mit all den Gedanken, die nicht zu Ende gedacht wurden, einem Konstrukt aus losen Ideen und phantastischen Phantasien Platz zu machen, sich auf Papier zu entleeren. Nicht Schreiben ist keine Option. Aber jedes Mal auf eine Explosion zu warten auch nicht.

Ich erinnere mich an einen Text, den ich vor Langem geschrieben und vor kurzem einem Menschen vorgelesen habe, dessen Meinung mir viel bedeutet. Der Text heißt Sehnsucht und ich erinnere mich gut an den Schmerz, aus dem er entstanden ist. Ich habe von einer grenzenlosen Sehnsucht nach Freiheit geschrieben und dabei alles in Frage gestellt, was Strukturen sind, Richtung vorgibt und mich deshalb potenziell eingrenzen oder absichern könnte. Ich habe das System beschuldigt unfrei zu machen. Dabei habe ich von keinem speziellen System gesprochen, sondern von allen – und deshalb von keinem. Ich war prinzipiell dagegen, ohne zu wissen wogegen genau. Gefangener, als in der krampfhaften Suche nach Freiheit kann man wohl nicht sein. Als ich diesen Text nach langer Zeit vorgelesen habe, ist das Druckgefühl wiedergekommen. Ich habe den Planeten gespürt, der sich in mir dreht, der nicht bunt ist, sondern pechschwarz. Als ich fertiggelesen habe, sagte er lange nichts. Nicht der Planet, sondern der Mensch. „Ich glaube nicht, dass es die Freiheit ist, die du suchst. Ich glaube es ist die Ruhelosigkeit, die du bekämpfen willst.“ Und plötzlich drehte sich der Planet in mir langsamer.

Ruhelosigkeit

Das ist, wenn das Herz ganz schnell schlägt, nicht punktuell, sondern latent, nicht auf ein verliebtes Herzklopfen, sondern auf die Monotonie des Alltags. Das ist, wenn die Zeit fehlt, sich Zeit zu lassen und Spontanität von Terminen im Graben der schönen Dinge versenkt wird. Ruhelosigkeit, das ist, wenn eine Aktivität nicht genügt, wenn man beim Telefonieren isst, um Nahrung aufzunehmen, um Energie zu haben – nicht fürs Leben, sondern für den nächsten Termin. Ruhelosigkeit, das ist Konzentrationsschwäche und Schlafstörung, das ist tagsüber müde und nachts wachzusein, nichts richtig tun und nichts lassen zu können, die Augen halb geöffnet, nur für das Nötigste und nicht für das Schöne. Ruhelosigkeit, das ist den Haustürschlüssel vergessen und keine Lust auf Sex haben. Kleinigkeiten übersehen und sich über Rechnungen mehr ärgern, als über Liebesbriefe freuen zu können. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist tödlich und das Wetter hat sich gegen einen verschworen, wenn es regnet. Und wenn die Sonne scheint hat man keine Zeit rauszugehen, weil das nicht im Kalender steht. Ruhelosigkeit, das ist Freundschaften am Leben halten, ohne sie zu leben. Das ist schwarz-weiß-Fernsehen in real. Das sind Stresspickel und Beziehungsstress. Der Graben der schönen Dinge quillt über, der intrinsische Planet erbricht sich auf sich selbst und als Konsequenz dreht er sich noch schneller als zuvor. Ruhelosigkeit, das ist ein Kreislauf, der so unfrei macht, dass es schmerzt.

„Ich will nicht ruhelos sein“, sage ich. Ich will kein Mensch sein, der keine Zeit hat. Ich will im Graben der schönen Dinge leben und nicht darüber schweben, stumpf und glatt und durchsichtig. Das alles sage ich nicht, denke ich nur, weil ich nicht will, dass der schöne Mensch der vor mir sitzt, sieht, das die Ruhelosigkeit auch in mir wohnt. Ich glaube sie wohnt in uns allen – während uns die Gravitation auf dem Boden hält, pumpt sie Ruhelosigkeit durch unsere Füße in unseren Körper. Wir können uns kaum dagegen wehren, weil wir in einer Welt leben, die sich sehr schnell dreht. Und wir drehen uns mit. Ich möchte ihn fragen, was dagegen hilft. Den Menschen und meinen Planeten. Ich traue mich nicht, weil es mir mein innerer Perfektionist schwer macht, Schwäche zuzulassen. Der Mensch schaut mich an, antwortet nicht, weil ich keine Frage gestellt habe, dafür meldet sich mein innerer Planet.

Ruhelosigkeit wird von sehr vielen Menschen sehr falsch behandelt. Während Symptome bekämpft werden, vertiefen sich die Gräben der Ursachen und irgendwann verschwinden sie aus unserem Bewusstsein. Und dann hört sich der Planet nicht mehr auf zu drehen. Das nennt man dann Burn-Out zum Beispiel, oder Depression. Ruhelosigkeit und Druck sind ganz eng miteinander verbunden, sie nähren sich gegenseitig. Die Ursache des Drucks zu finden ist die erste Möglichkeit, Ruhelosigkeit zu bekämpfen. Druck entspringt oft der Angst vorm Versagen, die dem Vergleich mit anderen entspringt. Es liegt in unserer Natur – in der Natur des Perfektionisten – sich ausschließlich mit den Menschen zu vergleichen, die besser sind, schöner, schlauer. Das mag ermutigend sein, meistens ist es selbstverletzend und der Planet dreht sich schneller. Wir spüren Druck, weil wir das Gefühl haben, mithalten zu müssen, dabei wissen wir oft gar nicht, mit was. Wir wollen eine Erwartung erfüllen, die niemand an uns gestellt hat, die wir aber als Narrativ in den gesellschaftlichen Strukturen festtreten und im vergleichenden Wettbewerb befeuern. Wir sind getrieben von einem „nicht gut genug“, von einem Misstrauen uns selbst gegenüber, wir sind abgetrennt von uns selbst. Lose und ohne Ruhe. Ruhelos, eine ganze Generation, seit Generationen. Wie können wir Frieden propagieren, wenn wir im permanenten Krieg mit uns selbst sind?

„Sind wir nicht alle“, höre ich dich sagen. Ich sehe dich dabei lächeln, du findest es süß, wie viele Gedanken ich mir mache. „Ich glaube wirklich an das gute Leben“, sehe ich mich selbstverteidigend sagen, und das tue ich auch. Mein Planet dreht sich, weil ich meinen Platz noch nicht gefunden habe. Du sagst, dass ich nicht weiß was ich will, aber wie soll man das wissen, in einer Welt, in der Entscheidung auch Ausgrenzung bedeutet. Alles zu wollen schließt Freiheit nicht ein, dafür ist Ruhelosigkeit eine Begleiterscheinung. Ich lerne das gerade. Druck löst sich nicht von noch mehr Druck auf und auch nicht, wenn man ihn bittet zu verschwinden. Sich gegen Druck zu entscheiden ist ein Prozess, der Planet in uns dreht sich so gerne. Innere Ruhe kommt mit Zufriedenheit, davon bin ich überzeugt. Die Vorstellung eines zufriedenen Lebens ist abstrakt und unmöglich, weil Zufriedenheit keine Stetigkeit innewohnt, sondern dynamisch ist.

Zufrieden sein

Das ist, wenn man die sklavische Abhängigkeit von der Uhr ablegt. Wenn man nicht nur alle anderen, sondern auch die eigenen Bedürfnisse spürt und danach handelt. Wenn man Rücksicht auf sich nimmt, so viel Zartbitterschokolade essen kann, wie man will und Oma anruft. Zufriedensein, das ist Lachen, das nach Sommer klingt, warm und hell. Das sind warme Füße und Energie, die einen durchströmt wie ein Wasserfall. Das ist Liebe zu spüren. Das ist fragen, um Antworten zu bekommen. Das ist Freundschaft. Zufriedensein, das ist die Natur wahrzunehmen und auch im Regen rauszugehen. Dinge nicht zu ernst zu nehmen – vor allem nicht die, die man sowieso nicht ändern kann. Zufriedensein ist Dinge in Relation setzen zu können und Verhältnismäßigkeit zu sehen. Sich selbst nicht zu überhöhen und seinen Wert nicht von externer Bestätigung abhängig zu machen. Alle Menschen zu respektieren und das Leben nicht als Wettbewerb zu sehen. Integrativ, nicht egoistisch zu handeln und Balance zu finden, zwischen Anstrengung und Ruhe. Zufriedensein ist zu spüren, was einem gut tut: Welches Essen, welches Umfeld, welche Menschen. Zu wissen, was man will, wen man will, wohin man will. Zufriedensein, das ist nicht verlorenzugehen, im Strudel des Lebens und zu wissen, dass der Himmel blau ist. Dankbarkeit zu spüren und manchmal ein bisschen Demut. Zufriedensein, das ist Ruhe, die nicht lose durch den Körper hüpft, sondern sich wie ein warmer Mantel um ihn geschlungen ist.

Zufriedenheit ist für jeden etwas anderes, höre ich dich sagen. Und ich widerspreche dir. Ich glaube schon, dass wir Menschen uns ähnlicher sind, als wir denken. Wir sind alles fühlende Wesen und wenn wir es schaffen, den Planeten ins uns für einen kurzen, und dann für immer länger werdende Momente anzuhalten, dann können wir uns auch wieder spüren. Ohne Druck sehe ich klarer. Du hälst meinen Planeten immer wieder an. Und wir entfremden uns, langsam, mein kleiner Planet und ich.

Foto: Unsplash