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Self-love, Baby.

Das Wertesystem der Generation Y


Wir brauchen Vergleiche, um uns zu orientieren. Um unser Umfeld zu verstehen und unseren Platz darin finden zu können. Gleichzeitig müssen wir uns abgrenzen, um uns im Vergleichs-Narrativ nicht zu verlieren. Das mit den Grenzen ist leider das Problem. Vergleiche verschwinden oft in einer Grenzenlosigkeit, die sich als unzufriedene Welle über uns legt, und plötzlich schwimmen wir in diesem randvollen Ozean der vergleichenden Fremdwertung. Wir merken das nicht, weil sich das Wasser zart um uns legt, wie ein Mantel, beschützend und wohltuend, dieses fremde Mantel-Meer. Manchmal ist Ebbe und manchmal ist Flut und bei Vollmond schimmert das Wasser sogar golden. Wir vergessen bei diesem Anblick oft, dass wir nicht gemacht sind, um im Wasser zu leben. Dass der Mantel uns entweder zu groß ist, oder zu klein, dass er uns eigentlich gar nicht gefällt, und dass er uns langsamer macht, der Stoff ist wahnsinnig schwer. Aber wir sind Gewohnheitstiere. Wir sind Fische ohne Kiemen, wir sind in Schwärmen unterwegs, weil uns die Gemeinschaft Sicherheit gibt, wir schwimmen alle im gleichen Mantel-Schutz. Andere Schwärme können uns nichts anhaben, weder Haie, noch Wale oder Anglerhaken.&#160;<strong>Nur tote Fische schwimmen gegen den Strom. Wir strampeln lieber als tot zu sein. Kiemenlos unter Wasser, wir würden wohl an der Freiheit der Luft ersticken.

„Schwimmen echt alle Fische in Schwärmen?“

„Ich erinnere mich an die Unterhaltung mit meiner kleinen Cousine vor ein paar Monaten. Wir haben Findet Nemo angeschaut und als Marlin alleine im Meer zurückbleibt um seinen verschwundenen Sohn Nemo zu finden, fängt sie an zu weinen. „Mali ist ja gar nicht alleine“, sage ich. Wir schauen weiter und mit Freudenschreien zelebriert sie die ungewöhnlichen Freundschaften des Clownfisches mit Stachelrochen, Schildkröten und Pelikanen. Clownfische leben normalerweise in einer Symbiose mit Seeanemonen. Müssen sie aber nicht. „Anglerfische leben zum Beispiel nicht in Schwärmen“, sage ich, als sie sich vor dem leuchtenden Tiefsee-Fisch mit den großen Zähnen erschreckt. „Ist ja auch viel interessanter. Sonst sieht man immer nur sich selbst, weil alle gleich aussehen.“ Ich schaue meine vierjährige Cousine an und frage mich, wie ich sie vor dem gefährlichen Mantel der Gleichartigkeit und des toxischen Vergleichs beschützen kann. „Du bist ein sehr schlaues Mädchen.“ Sie nickt stolz. Und Nemo schafft es aus dem Aquarium.

Ich schreibe diesen Text, weil ich mich oft frage, wo diese kollektive Unzufriedenheit herkommt, die über einer Generation liegt, die mit den Schuhen der 68er tanzen geht. Wir wachsen auf, mit Druck und Stress, die zu Schlaf- und Essstörungen werden, wir haben alle Möglichkeiten und haben deshalb keine. Ich habe versucht an mir selbst zu beobachten, wo meine traurige Unzufriedenheit herkommt, die oft schläft, und mich oft nicht schlafen lässt. Die Unzufriedenheit, die hinter den lachenden Augen meiner Freundinnen und Freunde flackert, die Diäten macht, um Körperidealen zu entsprechen, die eine kranke Industrie produziert hat, um Kapital zu erwirtschaften. Die Unzufriedenheit, die sich unterschätzt und mehr feige ist als faul, aus Angst, zu versagen. Weil es immer irgendjemanden gibt, der besser ist. Die Unzufriedenheit, die flüstert und unsere Wahrnehmung verschiebt. Symptome dieser Unzufriedenheit zu bekämpfen ist wie Feuer mit Benzin zu löschen. Ich glaube, dass ein riesengroßer Ursachenball die Gewohnheit des Vergleiches ist. Wir vergleichen Preise im Supermarkt, wie vergleichen Immobilien, wir vergleichen Geschmäcker, wir vergleichen Sexualpartner, wir vergleichen Klamotten und Studienabschlüsse, Urlaubsziele und Instagram-Follower. Wir können gar nicht anders und das ist primär nichts Schlimmes. Wir vergleichen, weil wir gelernt haben, das Beste für uns herauszufinden, uns diesem anzunehmen und es nicht mehr loszulassen. Das mag ein Stück Erfüllung sein. Warum Erdbeereis essen, wenn man Sahne-Kirsch viel lieber mag? Wir müssen ausprobieren und unseren Erfahrungsschatz so breit fächern, dass wir in der Lage sind, gut für uns zu sorgen. Das nennt man Erwachsenwerden. Und das passiert bestenfalls ein Leben lang. Leichter als seinen Platz zu finden, ist es glaube ich, seinen Platz zu verlieren. Das Leben ist voller schöner Plätze. Wenn wir uns kaum entscheiden können, in welches Restaurant wir gehen, oder wen wir daten wollen; wie sollen wir uns dann für einen physisch stabilen emotionalen Ort entscheiden können? Du wirst deinen Weg schon gehen. Ist das der Weg zu diesem Platz? Oder ist es der Weg zwischen den verschiedenen Plätzen, das Labyrinth all jener Plätze, die mein Leben für mich vorgesehen hat? Während wir also eine Mischung aus diesen beiden Wegen gehen, sehen wir andere Plätze. Plätze, die unserem ähnlich sehen, aber ein bisschen mehr strahlen. Ein bisschen besser geputzt sind, keine abgebrochenen Ziegel haben und keinen abgekratzten Lack. Plätze, an denen sich die schillernderen Menschen aufhalten. Wir schauen so viel nach den anderen Plätzen, dass unserer verwildert. Uns entgleist unser Platz, weil wir von der Schönheit der anderen geblendet sind, die wir nur verschoben, weil aus der Ferne sehen können. Wir sehen nicht die undichten Fenster der kleinen Kapelle, die auf Sandstein steht, nicht auf Fels. Wir sehen nicht den Müll, der die Ecken braun färbt und wir sehen nicht die Blumen, die dort einmal gewachsen sind, bevor sie keine Sonne mehr bekamen. Trotzdem verwildert unser Platz. Möglicherweise gehen wir weiter, oder wir fangen an aufzuräumen. Wir bauen den Platz, der nur in unserer Wahrnehmung so glänzt, nach, übernehmen Teile davon und wenn keiner guckt, dann gucken wir. Wer ist der Platzhirsch unter den Plätzen? Anstatt der Öffentlichkeit zu dienen und bestmöglich und für alle nutzbar einen Ort der Freiheit zu erschaffen, erschaffen wir Zwänge und Kämpfe und plötzlich sind wir so verbittert, dass der Regen sauer wird und die Tauben auf Strommasten nisten.

Wir sind keine Plätze, weil wir nicht stetig sind und vor allem nicht festgewachsen. Wir sind in Bewegung und wir entwickeln uns aktiv. Ein Platz entscheidet ja nicht selbst, wie er bebaut, bepflanzt oder bewässert wird. Wir sind unsere eigene Gärtnerin, unser eigen Bauleiter, unser eigen Gast. Aber wir sind auch zum Großteil selbst für die Verschmutzung zuständig. Vergleiche verschmutzen, sobald das Unterbewusstsein nicht mehr damit aufhören kann. Ich kenne das von mir, aber ich kenne das auch von vielen anderen jungen Frauen und Männern: Selbstwert generieren. Das funktioniert am besten und am schlechtesten durchs Vergleichen – Obst schimmelt manchmal auch schneller als man gucken kann. Ein großes Problem des Vergleichens ist, dass wir es immer mit den falschen Menschen tun. Und unverhältnismäßig. Menschliche Eigenschaften lassen sich nicht gegeneinander abwiegen. Menschlicher Körper und Geist sind ein Wunder der Natur und so vielschichtig, dass es an eine Beleidigung der Evolution grenzt, Merkmale oder Eigenschaften zu vergleichen. Wir wollen alle einen unterschiedlichen Fingerabdruck und lieben Unikate. Anders sein, aber bitte nicht zu viel. Das Wasser ist kälter, außerhalb des Mantelarms. Ich verstehe nicht, warum wir es alle tun, obwohl es den meisten von uns bewusst ist. Ich vergleiche mich auch mit meinen Freundinnen. Und ich hasse das. Vergleiche schüren Neid, Neid generiert Unzufriedenheit, Unzufriedenheit macht Sorgenfalten und auf Dauer verscheucht sie den Selbstwert.

Sich ständig zu vergleichen ist wie, Dinge zu essen, die man nicht mag, zu kleine Schuhe zu tragen oder schlechten Sex zu haben. Unbefriedigend. Das schöne bei Vergleichen ist: Man weiß das vorher. Und das Gewohnheitsdenken kann durchdrungen werden. Wir müssen uns nicht klein machen, nur weil wir auf dieser Welt sind. Wir müssen uns unseren Platz nicht ab-vergleichen. Es gibt genug Plätze für alle, und wenn nicht, dann werden eben welche geschaffen. Warum kämpfen wir um Plätze, die gar kein Wettbewerbs-Gegenstand sein möchten? Mir ist in den vergangenen Monaten häufig aufgefallen, dass wir einem Narrativ hinterherlaufen, dass, so der Pathos will, der Kapitalismus für uns erschaffen hat. Nicht nur der Kapitalismus, aber er ist definitiv ein alpha-Männchen im Anti-Selbstwert-Squat. Wir können uns nicht nicht vergleichen. Hörst du das, Paul, Vergleiche lösen Kommunikation ab, das Internet blümt, wir haben Blumenkränze im Haar, aber glücklich sind wir trotzdem nicht. Das heutzutage gilt für gestern und wohl für übermorgen: Es ist leicht, einen Platz zu finden, weil überall Einladungen liegen. Man muss nicht mehr suchen. Als Konrad Duden 1880 das nach ihm benannte Nachschlagewerk zum ersten Mal herausbrachte, da gab es nur die Marke ohne -ting und Influenza war ein anderes Wort für Grippe. Es ist gut, dass sich die Zeiten ändern. In unserem Wirtschaftssystem brauchen Produkte Vermarktung und Influencer sind eben eine Begleiterscheinung der Social-Media-Auswüchse. Aber wir müssen selbst entscheiden wollen, inwieweit wir diese Konstrukte unser Leben bestimmen lassen. Wir müssen uns nicht mit Influencerinnen identifizieren, genauso wenig, wie mit den besten Eigenschaften unserer zwanzig besten Freundinnen. Wir dürfen uns nicht im Schein-Schutz des Schwarms ausruhen und unseren Platz aufgeben, weil wir Angst haben ihn zu finden. Wir dürfen uns mit uns selbst auseinandersetzen. Die coolen Kids sind auch nur so cool, wie es ihre Plätze sind. Ich möchte meine Entwicklung nicht mehr durch den Fleischwolf des gesellschaftlichen Narrativs schieben und ich möchte meinen Wert nicht von Wettbewerb abhängig machen. Ich wünsche mir, dass wir uns wertschätzen, weil wir einfach sind. Und dafür müssen wir nicht besonders markige Klamotten tragen, oder ein Survival Camp in Grönland gemacht haben, oder ein Praktikum bei Elon Musk. Krass ist nicht der neue Referenzrahmen der Persönlichkeitsbewegung. „Was ist es dann?“ Vielleicht ist es glücklich, sage ich zu meiner inneren Stimme. Vielleicht, vielleicht.

„Ist Dorie eigentlich jetzt Nemos Mama?“ Meine Cousine schaut mich an, während ich beinahe eine Träne verdrücke, als die Clownfisch-Familie wieder vollständig ist. „Nein, Süße. Doktorfische wohnen nicht in Anemonen.“ „Aber man kann doch wohnen wo man möchte.“ Sie schaut mich fragend an und zieht die Augenbrauen zusammen. „Mein zu Hause war ja auch erst in Mamas Bauch.“ Wann sind unsere Gedankenkanäle nur so versmokt? Kinder sind so pur und klar und rein. An diesem Tag lerne ich, dass Doktorfische auch in Anemonen wohnen können. Und meine Cousine lernt, dass man sich den Schwarm, mit dem man schwimmen möchte, selber aussuchen darf.

Foto: Unsplash

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