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Sinnsuche

Tell me what you want what you really really want


In den letzten zwei Jahren erschien wenig sinnvoll, außer das Leben irgendwie auszubremsen, zum Schutz aller. Die Pandemie hat sämtliche Betäubungsmöglichkeiten genommen und zwingt zur Selbstauseinandersetzung. Das Gefühl von Sinnlosigkeit wird oft auf Corona geschoben, dabei verstärkt das Virus nur, was ohnehin da ist.

Die Frage nach dem Sinn

Früher habe ich mir die Frage nach dem Sinn nicht gesellt. Ich musste nicht, weil das System das für mich erledigt hat. Ich habe eingesehen, dass es sinnvoll ist in die Schule zu gehen und dass es sinnvoll ist, sich danach auf irgendwas zu spezialisieren, um irgendwann mit der eigenen Expertise Geld zu verdienen. Ich war mit 18 noch viel zu jung für Expertise und Zukunft. Freiheit und Grenzenlosigkeit wiegen oft schwerer als Altersvorsorge und Rentenversicherung. Ich war leider keins von den Kindern, die schon immer eine Vision von ihrem Zukunfts-Ich hatten. Ich bin viel zu sprunghaft dafür, meine Interessen viel zu gestreut. Ich kann mich für alles begeistern und bin gleichzeitig zu ungeduldig, an etwas wirklich festzuhalten. Ich habe viel angefangen und viel wieder aufgehört und den Satz „jetzt weißt du wenigstens, was du nicht willst“, habe ich so sehr verinnerlicht, dass er mich nur noch bedingt tröstet. Ich frage mich, ob man sich irgendwann festlegen muss, und ich frage mich, wann der Punkt kommt, an dem man tatsächlich weiß, was man will. Nicht für einen Tag, sondern wenigstens für ein halbes Leben.

Und was willst du später machen?

Ich studiere eine Geisteswissenschaft. Ich fühle mich nicht wie eine Wissenschaftlerin, ich schaffe kein Wissen. Ich habe in einem Jahr einen Master of Arts und wenn mich Menschen aus der Generation meiner Eltern fragen, was ich damit machen will, dann weiß ich das genauso wenig, wie vor meinem Studium. Wenn man die Welt studiert, dann studiert man alles und nichts, dann ist es möglich, selbstverwaltet sehr viel zu lernen, oder viel Mate zu trinken und meistens besteht man trotzdem. Mein Freund studiert Medizin und weiß, dass er in ein paar Jahren Arzt ist. Ich studiere Politik und mehr, als dass ich in ein paar Jahren keine Politikerin sein will, weiß ich nicht. Das ist eine riesengroße Freiheit, die manchmal aufregend ist, und meistens Angst macht. Mit Mitte 20, wenn das Kindergeld gestrichen wird und man aus der Familienversicherung fliegt, dann verschwindet das Gefühl für immer 18 zu sein, frei und verantwortungslos, sehr schnell. Der finanzielle Druck konfrontiert automatisch mit der riesigen Frage, mit was man sich langfristig den Großteil seiner Zeit beschäftigen will. Hilfe. Die meisten haben wohl den Anspruch, etwas Sinnvolles zu tun. Ich auch. Während der Pandemie hat sich für mich die Frage nach dem Sinn aber verschoben. Sinn hat viel mit Perspektive zu tun. In unserem global-politischen Zeitgeschehen erscheint es mir oft sinnlos, während Pflegekräfte fehlen und Lehrer:innen ausgebrannt sind, in meinen Seminaren über die abstrakte Welt der internationalen Politik zu diskutieren. Ich werde manchmal wütend und oft traurig, weil ich das Gefühl habe, in einem Paralleluniversum zu leben. Der Sinn ist mein Abschluss, sage ich mir dann, mit dem ich die Welt ein bisschen besser machen werde. Damit halten sich wahrscheinlich viele Geisteswissenschafler:innen am universitären Ball – aber werden wir das? Ich weiß, dass mir auch mit einem Masterabschluss kein Job hinterhergeworfen wird, weil ich nichts systemrelevantes gelernt habe. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich als produktiver Teil dieser Gesellschaft einen Beitrag leisten kann, der aber von mir erwartet wird

Subjektive Realität

Produktivität und Wert sind eng miteinander verknüpft. Dagegen kann man sich währen: man kann sich dem öffentlichen Leben entziehen, gelähmt und gefangen durch die eigene Unfähigkeit oder den Unmut eine eigene Realität bauen; man kann in Kommunen ziehen und seine sich selbstbestätigende Blase so sehr zelebrieren, dass eine neue Öffentlichkeit entsteht – dann mag man sich zeitweise freimachen können, vom Wertesystem der Gesellschaft. Das ist glaube ich der leichte Weg. Den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden, ist es nicht. Um herauszufinden was man möchte, muss man ausprobieren, um auszuprobieren, muss am ausprobiert haben, weil der eigene Wert sich in Erfahrung misst, so ist das jedenfalls in meinem Bereich. Ich finde es anstrengend, mich mit hunderten anderen Bewerber:innen in endlosen Prozessen um unbezahlte Praktika zu streiten und dabei zwei Nebenjobs haben zu müssen, weil Studieren dauert und Eltern auch irgendwann finanziell müde sind, oder in Rente gehen, oder arbeitslos sind, oder oder.

Vor der Pandemie hatte ich das nicht, diesen tiefen Wunsch nach Sicherheit. Corona hat das Vertrauen ins Ungewisse zerstört, meine Resilienz aufgebraucht und mich gezwungen, mich intensiv mit meiner Zukunft auseinanderzusetzen. Weil ich viel allein war, aber auch, weil Existenzielles plötzlich sehr nah ist. Ich finde es sehr sinnvoll systemrelevant zu sein. Jede:r mag Wertschätzung, jede:r braucht einen guten Grund, morgens aufzustehen. Mit, aber auch ohne wütende Pandemie. Ich glaube diese Sinnfragen schlummern in uns allen, sie haben das schon immer getan – das Wegfallen von Betäubungsmöglichkeiten und die Leere, die sie hinterlassen, geben den unangenehmen Fragen Raum.

Visionen- Visionen?

Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich Autorin werde, oder Journalistin. Mir hat das Bild von mir gefallen: ich, an den Orten des Weltgeschehens, nur ich und mein Laptop. Oder ich in Italien, den ganzen Tag Kaffee trinkend, inmitten von Olivenhainen, mein neues Buch schreibend, abgekapselt vom Kummer dieser Welt. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, ob das sinnvoll ist, mir erschien es so, weil mich die Vorstellung glücklich gemacht hat. Glück ist sinnvoll. Mich macht die Vorstellung aber nicht mehr glücklich. Sie macht mich unsicher. Sicherheit und Freiheit haben sich in den letzten beiden Jahren bekriegt. Sie gehen nicht mehr gemeinsam spazieren, sie sind Magnete, die sich gegenseitig abstoßen, so fühlt sich das an.

Eigentlich denke ich, dass man alles machen kann, was man will, und dass es Visionen braucht, um Ziele erreichen zu können. Ich habe immer gedacht, dass Mut und Neugier sich auszahlen, und manchmal Geduld. Corona hat das kaputt gemacht. Die Pandemie und all ihre irren, sich ständig ändernden Verordnungen haben Kontrolle genommen und überall dort Unsicherheit gesät, wo Vertrauen gewohnt hat. Ich hasse das. Ich hasse es, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr machen zu können was ich will und unfrei zu sein und irgendwie unwichtig, mit dem was ich tue.

Manchmal habe ich sogar das Gefühl, ich habe es verlernt, Spaß zu haben, weil die vergangenen zwei Jahre so viel Schönes auf der Strecke geblieben ist und Enttäuschung Vorfreude abgelöst hat. Natürlich stellt man sich dann die Sinnfrage.

(Un)Ordnung

Ich habe mich in den letzten Wochen neu sortiert, tue das momentan immer wieder, wahrscheinlich machen wir das alle, ich find’s gar nicht so leicht. Wenn man sich fernab von nebligen Bar-Abenden und stressigen Uni-Phasen fragt, was einen erfüllt – nicht beschäftigt, sondern nährt, dann kann das ziemlich schmerzhaft sein, weil da möglicherweise gar nicht so viel ist, außer Alltag und vielleicht Konsum. Ich wünsche mir manchmal zurückzukönnen, in die Zeit des intuitiven Verhaltens und der Romantik des Moments. Wenn ich meine kleinen Cousins beobachte, die Grasflecken auf der Hose haben und keine Angst, dass die Nachbarn ihr Kreischen peinlich finden, während sie die Inneneinrichtung als Piratenschiff nutzen, dann werde ich traurig, weil das irgendwann verloren gegangen ist. Im Jetzt zu leben ist wahrscheinlich eines der sinnvollsten Sachen, die es gibt.

Ich finde es schwierig dem Leben einen Sinn zu geben. Die Vielfalt und die Dynamik lassen sich sowieso kaum verbalisieren. Das Gefühl von kompletter Erfüllung kann glaube ich auch nicht nur monothematisch generiert werden. Und ich glaube Sinn ändert sich. Früher fand ich es zum Beispiel wahnsinnig sinnvoll, jeden Tag Sport zu machen. Mich hat es erfüllt, zu wissen, dass ich was für meine Gesundheit und meine Fitness tue. Heute fühlt sich ‚um mich selbst kümmern‘ anders an, exzessiver Sport gehört zum Beispiel nicht dazu. Generell verschiebt sich viel, je älter man wird und ich frage mich, ob das jemals aufhört. Ob nachhaltige Zufriedenheit Veränderung ausschließt – ich glaube nicht. Was ich versuche zu sagen: Sinn verändert sich und kann deshalb wahrscheinlich nur temporär gefunden werden. Und auch nicht in einer Sache. Was für eine schreckliche Vorstellung, wenn diese wegfällt! Ich muss an Mütter denken, deren einziger Sinn ihre Kinder sind. Wenn diese ausziehen, dann fallen die Mütter erstmal in ein Loch, ich glaube das ist sehr tief, ich glaube auch, dass man aus tiefen Löchern mit alten Knochen nur sehr schwer herauskrabbelt. Und ich glaube auch – beobachte das ja aktuell schon bei mir – dass es immer schwerer wird, sich neue Sinne zu suchen.

Ich habe kürzlich ein Lied entdeckt. Es heißt Verschwende deine Zeit. Es ist ziemlich low, aber ich find’s richtig gut, weil es mich inspiriert, Sinn im Unsinnigen zu finden, und den Rest nicht so schwer zu nehmen. Nach dem Sinn zu suchen, fühlt sich an wie in einem Museum zu leben, als einziges lebendes Wesen, es fühlt sich an wie Luft einzufangen oder Wasser in Papiervasen zu gießen. Ich hasse es manchmal zu suchen. Ich möchte lieber froh sein, dass es so viel zu entdecken gibt.

Eben habe ich beinahe gegen meinen Freund im Schach gewonnen. Ich kann jetzt ein Weihnachtslied auf dem Klavier spielen. Ich kann lustige Kunststücke. Find ich sinnlos sinnvoll. Genau wie fast alles andere im Leben, welch Erleichterung.

Foto: Unsplash

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