Zum Inhalt springen
Startseite » Texte » Und danach?

Und danach?

Und danach?


Zwischen Postmaterialisten und Politikern, die mit Privatjets zu Hochzeiten fliegen, auf denen Punks neben Bundeskanzlern Fischbrötchen essen, ist es gar nicht so leicht, sich zu orientieren. Das Metaverse überflutet unsere Realität mit Möglichkeiten und ab und zu bleibt etwas in unserem Aufmerksamkeitsnetz länger hängen als einen Swipe lang. Meistens sind das die Urlaubsbilder von der Freundin, die schon seit zwei Jahren mit dem Campervan durch Europa tourt, oder dem Mitschüler, der mittlerweile im Bundestag arbeitet, oder der gleichaltrigen Nachbarin, die zum dritten Mal schwanger ist. Außerdem Bilder aus der Ukraine, Bilder von überfüllten Flughäfen, Bilder von Temperaturregeln an Heizkörpern. Worauf ich hinauswill: uns bleibt das im Kopf, was uns Angst macht, oder was uns inspiriert, was wir auch wollen, oder eben überhaupt nicht. Während wir fröhlich vor uns hin-swipen, manchmal mehrere Stunden am Tag, überfordern wir unser System maßlos und sind der Auslöser, für die Unruhe, die uns umtreibt. Ich spüre diese Unruhe und fange meinen Text mit diesem diffusen Einstieg an, weil es mir schwer fällt über Bedürfnisse, Wünsche und Träume zu schreiben. Und weil eben jene ganz eng mit Rastlosigkeit, Überforderung, Druck und Selbstwert verbunden sind.

„Was macht dich so unzufrieden?“ Mein Freund und ich spazieren durch die Felder am Rande von Tübingen. Ich zerkleinere Grashalme zwischen meinen Fingern. Wir haben uns über die nahende Zeit nach dem Studium unterhalten, und wo es uns örtlich und arbeitstechnisch hinzieht. Ein schwieriges Gespräch, das den Wert von Kompromissen und Bedürfnissen immer wieder neu verlangt zu messen. „Gar nichts, wie kommst du drauf?“ „Weil du immer wegwillst, und immer drei Schritte weiter planst, als du eigentlich musst. Ich spüre deine Rastlosigkeit. Und Rastlosigkeit ist immer ein Zeichen für Unzufriedenheit.“ Ich schüttele den Kopf. „Das ist ganz normal. Ich bin eben bald mit meinem Studium fertig und muss meine Fühler ausstrecken, sonst finde ich keinen Job, du verstehst das nicht.“ Er nickt und sagt, dass wir ja nochmal darüber sprechen können, wenn ich bereit dafür bin. Ich schnaube etwas Luft durch die Nase, um geräuschvoll zu untermalen, was ich von dem Unterfangen halte. Dann ist unsere Unterhaltung beendet.

Ein paar Tage später sitze ich in der Bibliothek, in der ich mehr Zeit verbringe als im Freibad, oder im Café, wo ich eigentlich lieber wäre, weil es mich mehr inspiriert. Bibliothekseinöde macht meine Gedanken oft grau. Ich habe kürzlich angefangen meine Masterarbeit zu schreiben und fühle mich dabei ambivalent. Gut, weil ich schon ewig studiere und diesen Lebensabschnitt endlich hinter mich bringen möchte. Schlecht, weil ich wahnsinnigen Druck verspüre, der die Frage ‚und was kommt danach‘ zu einem riesigen Ballon aufbläst, der durch meinen Organismus geistert und mich ganz aufgeregt Bewerbungen schreiben lässt. Ich bin in Gedanken schon fertig mit dem Studium und in einem weiteren unbezahlten Praktikum, ausgestattet mit der Hoffnung, dass irgendein Arbeitgeber mich schon übernehmen wird, ich bin ja gut ausgebildet. Ich bewerbe mich bei politischen Stiftungen und internationalen Organisationen, bei Forschungsinstituten und Zeitschriften, bei NGOs und beim Staat. Ich bewerbe mich ziellos, weil ich mich in diesem Strudel so wunderbar von der Frage ablenken kann, was mich wirklich umtreibt, was mich tatsächlich interessiert und was ich mit meinem Leben anfangen will. Auf so vielen Ebenen ist die Frage schwierig zu beantworten und auf so vielen Ebenen gibt es viele Wege, die eingeschlagen werden könnten. Und manchmal habe ich Angst, dass ich mich für den falschen entscheide, anstatt mutig zu sein, und überhaupt mal loszugehen. Ich denke an meinen Deutsch Lehrer und an Goethe und an die zwei Seelen, die ja ach in Faust’es Bruste wohnen. Und ich fühle mich sehr verbunden mit dem Gedanken der intrinsischen Zerrissenheit, die sich aus unzähligen Faktoren zusammensetzt.

Anstatt in der Bibliothek sitze ich also ein paar Tage später in der Sonne, denke an das Visionboard, das mir eine Freundin vor Kurzem gezeigt hat, für das sie jeden Tag arbeitet und auf dem ihre Wünsche und Träume ganz klar definiert sind. Ich kneife meine Augen zusammen, starre in die Sonne, und bevor ich über meine Wünsche nachdenken kann, frage ich mich, wo Wünsche überhaupt herkommen. Vielleicht von Entzugserfahrungen aus der Vergangenheit. Oder abgeleitet von Statussymbolen aus der Gesellschaft. Oder einfach aus Kreativität und Neugier. Während ich also so dasitze und gar nichts tue frage ich mich, warum es mir so schwerfällt, mir Zeit zu lassen. Ich sehe mich nach meinem Master von Praktikum zu Praktikum stolpern, meine Rastlosigkeit mit Ortswechseln und Small-Talk nährend, meinen Lebenslauf ganz vorbildlich für zukünftige Arbeitgebende der 5 Tage Woche mit Überstunden gestaltend. Das möchte ich nicht. Ich möchte meinen Körper und meinen Geist nicht auf ein Leben ohne Pausen mit Stress als Begleiter trainieren und ich möchte kein System stützen, das ich eigentlich ablehne. Ich reflektiere meinen Alltag, mit drei Jobs und Vollzeitstudium und all dem Rest, der zu eigenverantwortlicher Selbstständigkeit gehört und dabei fällt mir auf, das ich genau das schon mache. Ohne Leerlauf leben und zu wenig Zeit für die Dinge haben, die mir wichtig sind, weil ich es noch nicht geschafft habe meinen Selbstwert von Leistung zu entkoppeln. Ich mache das gar nicht bewusst, sondern vielleicht aus Angst, auf der Strecke zu bleiben und von meinen fleißigen Kommiliton*innen überholt zu werden. Vielleicht aus schlechtem Gewissen vor meinen Eltern, die mich seit 26 Jahren finanziell unterstützen, und denen ich mit dem Bild eines guten Jobs und dem Gefühl, erfolgreich zu sein, etwas zurückgeben will. Vielleicht aus Bock auf Bestätigung, weil krasse Jobs immernoch krass gut ankommen – in manchen sozialen Blasen jedenfalls, und ein Stück weit mache ich das sicherlich auch, weil ich weiß, dass ich es kann. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass sich Fleiß auszahlt und dass man immer alles erreichen kann, was man möchte. Jede*r kann das, der oder die vom System nicht strukturell diskriminiert wird, sich selbst realistisch einschätzt, und eben weiß, was er oder sie will.

Ich weiß das aber nicht. Ich finde es unangenehm, mir das einzugestehen, weil es sexy und cool und emanzipiert ist, genau zu wissen, was man möchte und wer man ist. Manchmal habe ich das Gefühl, es ist das Mantra einer Generation, die sich von ihren konservativen Eltern emanzipiert hat und nicht mehr nach gesellschaftlichen Rollenbildern lebt, sondern ganz reflektiert den Rote-Bete Dip im Glaskanister ausleckt und keine Ficks gibt, auf Kommerz und Status. Ich fühle mich irgendwie in between und obwohl ich mittlerweile einen gefestigten Wertekompass habe und weiß, was ich gut finde, und was schlecht, finde ich es manchmal schwer, mich irgendwo dazu zu kategorisieren. Ich hasse Dogma und finde die Anti-System-Haltung oft nachvollziehbar, manchmal aber sehr destruktiv und komfortabel. Ich möchte mich nicht in einer Blase ausruhen, die die anderen für sich arbeiten lässt und auf alles haut, auf dem kein Antifa Sticker klebt. Das mag sich als weit ausgeholt lesen, aber ich spüre doch, dass die Suche nach dem eigenen Weg auch viel mit Zugehörigkeit zu tun hat. Wie möchte ich sein bedeutet auch, zu welcher Gruppe möchte ich gehören, wie möchte ich mich sehen, was muss ich dafür tun. Identität ist glaube ich zu einem gewissen Grad fluide, weil diese Entscheidungen nicht für immer sind, sondern immer wieder neu getroffen werden können. Sie beruhen auf Freiwilligkeit, weil wir niemals ‚einfach so sind‘. „Du kannst alles sein und alles machen, was du willst“, sagt mein Freund seit dem ersten Semester zu mir, immer wieder, um meiner Unsicherheit den Nährboden zu nehmen. Ich fange langsam an, ihm das ein bisschen zu glauben. Derweil spüre ich, dass diese Suche ein Prozess ist und dass sie Zeit braucht und ich spüre gleichzeitig, wie anstrengend es ist, sich die Zeit zu geben, wenn gefühlt alle anderen schon so fest im Leben stehen, dass sie Zeit nicht mit Suchen verschwenden müssen.

Verschwenden, mag ich eigentlich auch nicht, also das Wort. Ich habe mich kürzlich mit einer Freundin getroffen, die in der gleichen Lebensphase ist wie ich, nur mit einer Jobaussicht, um die sie jede*r beneidet. Ich auch. Wir essen also Eis und sitzen im Park und sie sagt, dass sie gar nicht mehr weiß, was ihre Hobbies eigentlich sind. „Wirklich, wenn mich das jemand fragen würde, ich wüsste es nicht.“ Gut, dass der klassischen Karriere deine Hobbies egal sind, denke ich, nicke mitleidig und spüre, dass ich das absolut nicht will. Später nehme ich mir einen Block und einen Stift, schreibe Hobbies in die Mitte, umkreise das Wort und überlege. Ich überlege, was ich tue, weil es mir Spaß macht, nicht, weil ich es machen muss. Mir fallen sofort die Hobbies von meinem Freund ein, die meisten haben mit unsinnigen Videos im Internet oder Klamotten zu tun. Klavier und Französisch schreibe ich auf streiche letzteres wieder durch. Ich lerne Französisch primär, weil ich denke, dass es mir beruflich weiterhelfen wird, in der Zukunft. Und weil meine Kommiliton*innen fast alle arabisch sprechen. Und französisch, und und und. Ich spüre, wie sehr mein Studium auf Leistung und Vergleich ausgelegt ist und wie sich, vor allem während der Pandemie, das Streben danach und die Entspannung dazwischen vermischt haben. Sport, schreibe ich, während ich kurz darüber nachdenke, ob ich das nicht auch mache, um einen von der Gesellschaft als schön gelesenen Körper zu haben. Ich streiche es nicht durch, weil ich glaube, dass man das bei Vielem nicht so genau sagen kann. Das Eine ist vom Anderen abhängig, und überhaupt hängt alles immer zusammen. Lesen und Schreiben, schreibe ich, Natur, schreibe ich, schwimmen, Pflanzen, Freunde, Wasser, Reisen. Mir fällt plötzlich ganz viel ein und gleichzeitig fällt mir auf, dass ich viele von den Sachen vernachlässige. Das ist schade.

Das ist vor allem schade, weil Hobbies punktuell zufrieden machen. Weil sie nicht Mittel für einen Langzeitzweck sind, dessen Erreichen an einen Determinismus gekoppelt ist, den es nicht gibt. Wir können so viel Externes nicht beeinflussen, und wenn Trump 2024 wieder Präsident wird, China Taiwan angreift und ein Krieg im südchinesischen Meer die globale Lieferkettenstruktur in politisches Chaos und wirtschaftliche Rezension stürzt, dann bringt es nicht so viel, dass man sich brav und angepasst geknechtet hat, für ein Langzeitziel, das von der Unvorhersehbarkeit globaler Erschütterung in den Boden der Nichtigkeit gestampft wurde.

Ich habe vor ein paar Monaten einen Text über Sinn geschrieben, der sich retrospektiv sehr schwer liest, weil Sinn so ein großes Wort ist, was große Handlungen impliziert. Die Floskel geht sich auf Grund ihrer Übernutzung wohl selbst auf die Nerven, aber kein Bereich des Lebens ist schwarz oder weiß. Gerade denke ich, dass alles was Spaß macht (und obviously niemandem schadet), sehr sinnvoll ist, dass Erfolg nicht immer an Leistung gebunden sein muss, und dass Stress ein sehr unliebevoller Umgang mit sich selber ist. Ich weiß nach meinen Kritzel-Mind-Maps immer noch nicht, was ich will. Ich finde das zum ersten Mal aber gar nicht so schlimm und die Vorstellung bekommt Raum, dass man auch beides haben kann: Das, was ich wohl als beruflichen Erfolg beschreiben würde, und das, was ich mir im privaten wünsche, nämlich viel Liebe in meinen sozialen Beziehungen und Zufriedenheit.

Derweil sterben meine Pflanzen auf dem Balkon, weil ich sie entweder zu viel oder zu wenig wässere, weil ich keine Geduld mit ihnen habe und sie deshalb aufhören zu wachsen. Ich sage immer, dass ich meine Pflanzen liebe, dabei behandele ich sie, als wären sie mir fast egal, weil ich so viel im Kopf priorisieren muss, dass Pflanzen als Balkon-Gadget herunterfallen. Ich bin meine Pflanzen, denke ich, lol. Und dann denke ich, dass Gärtnern vielleicht auch ein Hobby werden könnte, weil mir Ästhetik und alles Schöne sehr sinnvoll erscheint.

Foto: Unsplash