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Virenschleuder Flugzeugzunge

Reisen in Corona-Zeiten


Wir fliegen gerade über die Alpen, meine ich zumindest, ich erkenne schneebedeckte Gipfel und vom vielen Regen braungeschwaschene Täler. Vielleicht sind es auch Felder, ich kann das aus fast 10.000 Meter Höhe nicht genau erkennen. Der Mund-Nasen-Schutz lässt mich flach atmen, auch, dass die Reihen vor und hinter mir prall gefüllt sind mit Menschen. „Please keep distance“, ruft die Stewardess immer wieder durch das Kabinen-Mikrofon. Wer sich zu lange auf dem Gang oder vor der Toilette aufhält, wird ermahnt, die Masken dürfen nur zum Essen ausgezogen werden, Flugzeuge sind Hochrisikogebiete.

Wer fliegt in Zeiten einer weltweiten Pandemie nach Nairobi, Ostafrika? Dank zweistündiger Verspätung hatte ich am Flughafen genug Zeit, mir meine Mitreisenden anzuschauen. Sehr viele Kinder, zum Großteil große kenianische Familien. Urlaubsreisende sehe ich kaum, außer ein deutsches Mitt-50er-Pärchen, dass sich über all die bürokratischen Hürden bei den Lufthansa-Mitarbeitenden, die am wenigsten dafür können, beschwert. Ich lernen einen verzweifelten amerikanischen Diplomaten kennen, der nicht ins Flugzeug gelassen wird, „sorry Sir, but there’s nothing we can do“, weil er den wichtigen QR-Code nicht vorzeigen kann. „I’m not here for holiday“, sagt der arme Mann, aber die Angst vor der Pandemie wiegt stärker, als der Diplomatenstatus. Hilfesuchend schaut der Mann hinter sich in die Schlange, er schaut mich an, wir versuchen ihn also gemeinsam auf der Seite des kenianischen Gesundheitsministeriums zu registrieren, unsere Köpfe eng beieinander, den Atem anhaltend, Hilfsbereitschaft verträgt sich schlecht mit Sicherheitsabstand. Wir schaffen es nach unendlichen Versuchen, der wichtige QR-Code ploppt auf seinem Handy-Display auf, er kann fliegen. QR-Codes sind in diesen Zeiten genauso wichtig wie Reisepässe. Sie bescheinigen, dass keine Covid-Erkrankung vorliegt, jedenfalls nicht in den vergangenen 96 Stunden. Was dazwischen passiert ist, kann nicht nachgewiesen werden, deshalb der Fiebertest. Ich fasse mir mehrmals panisch an die Stirn, meine eigene Körpertemperatur checkend – kann Stress Fieber erzeugen?

Ich reise nach Nairobi, weil ich dort ein Praktikum machen werde, nachhole, das im April vergangenen Jahres wegen Covid-19 abgesagt wurde. Damals war die Pandemie nicht schlimmer als jetzt, zahlentechnisch weit weniger besorgniserregend. Die Grenzen wurden damals einen Tag vor meiner Abreise geschlossen. Heute sind die Grenzen offen, obwohl Mutationen die Welt in Aufruhr halten – auch Ostafrika. Die Politik und sämtliche Subsysteme scheinen besser auf das vorbereitet, was kommen könnte. Ein eingeplanter Konjunktiv: Nicht wenige Länder sind immer noch im Katastrophenmodus – nicht so Kenia.

Irgendwo im Flugzeug wird gehustet. Ich drücke meine Maske fester an die Nasenoberseite, atme noch ein bisschen flacher, mache meine Musik lauter. Schreiende Kleinkinder sind heute jedem lieber, als hustende Passagiere.

Warum ich fast nicht hätte fliegen können

Ich versuche mich von potenziellen Aerosolen in meinem engen Umkreis abzulenken, und von den Gedanken an die Lüftungsanlagen in Flugzeugen. Ich versuche mir vorzustellen, was auf mich wartet, versuche Vorfreude zu spüren, nicht nur Angst, und während ich an all die Menschen denke, an all die „das wird bestimmt eine tolle Erfahrung“ Sätze, geht es mir besser. Ich habe lange überlegt, ob ich das Praktikum inmitten der zweiten Corona-Welle in Deutschland und in der ungewissen Covid-Flut in Kenia überhaupt machen sollte. Ich wurde nicht wenige Male auf das schlechte Gesundheitssystem hingewiesen, auf das Malaria-Risiko, auf die politisch unsichere Situation, auf potenziell alle Pandemie-unabhängigen Gefahren – müsse es denn wirklich Nairobi sein? Und überhaupt, wäre das gerade nicht ein wenig unvernünftig? In den letzten Tagen hat sich die Angst meines Umfeldes manchmal auf mich übertragen, wie ein zarter Regen, und ich ohne Regenschirm. Ich habe Durchfalltabletten gekauft und eine Malaria-Prophylaxe, Pfefferspray und Mückenschutz. Ich habe mich im Haus meiner Mutter isoliert, nicht einmal meine Freunde zum Spazierengehen gesehen, um das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Ein PCR-Test kostet 140€. „Pass schön auf dich auf“, sagt meine Oma, sagen meine Freundinnen, sagen meine Eltern, „vergiss dein Visum nicht“, sagt niemand. Menschen die mich kennen wissen, dass ich ein Organisationstalent bin. Ein Auswuchs meines Perfektionismus, der Entspannung oft schwer und Spontanität oft anstrengend macht. Mein Perfektionismus, so konzentriert auf die Corona-Auflagen, hat in den letzten Tagen grundlegend versagt. Ich wollte gestern früh einchecken, mein Koffer war gepackt, ich war starklar. Die Lufthansa-App fragt, ob ich ein Visum habe. Ich drücke auf den Nein-Button. Dann können Sie nicht einreisen, Vorgang abgebrochen. Eine leise Panik stieg in mir auf. Ich war fest davon ausgegangen, dass ich ein Visum am Flughafen bekommen würde, so hatte mir das ZDF das letztes Jahr erklärt. Ich rufe also in Kenia an. „Hast du das nicht auf der Seite des Auswärtigen Amtes gelesen? Die Bestimmungen haben sich zum 01.01. geändert“, sagt meine zukünftige Kollegin. „Scheiße“, stöhne ich und mir schießen Tränen in die Augen. Ich beobachte das oft an mir, falsche Priorisierung, Hauptsache die Sonnencreme Lichtschutzfaktor 50 ist dabei. „Dann mach das jetzt schnell online, vielleicht klappt es ja noch bis morgen.“ Hektisch rufe ich die Seite der kenianischen Regierung auf, Touristen-Visum, in 48 Stunden bei Ihnen. Das sind 26 Stunden zu spät, ich versuche es trotzdem. Über 10 Seiten beantworte ich Fragen, frage mich, wie ich an ein Einladungsschreiben kommen soll, habe keine Hoteladresse, habe keinen PDF-to.JPG-Converter, schließe ein Abonnement für 90€ ab, um den Scan meines Reisepasses in das passende Format zu bekommen, scheitere. Meine Mutter scannt meine Dokumente ein, während mein Bruder sich um die Weiterverarbeitung kümmert, ich telefoniere nach Kenia, der Mensch bei dem ich wohnen werde ist gerade im Slum, „sorry, ich sollte mein Handy hier besser nicht herausholen“, schreibt er. Bis Abflug sind es noch 22 Stunden.

Ich lerne an diesem Tag, dass Dinge, die wirklich wichtig sind funktionieren. Nicht immer, aber meistens. Dass Vertrauen alles richtet und dass man sehr viel mehr bewirken kann, als man denkt. Nach vielen Weinkrämpfen und Scham gegenüber dem ZDF-Studio in Nairobi, dass ich ordentlich aufgemischt habe, wurde mein Visum aber bestätigt. Ich packe meine wichtigen Dokumente in meine Laptoptasche: Reisepass, Visum, negativer PCR-Test, QR-Code vom kenianischen Gesundheitsministerium, dass der Test registriert wurde. Reisen in Zeiten von Corona ist herausfordernd. Es ist herausfordernd, in so vielen Belangen. PCR-Tests sind teuer, Reisen wird noch ein Stück elitärer. Das ist okay, Urlaubsreisen sollten gerade wirklich vermieden werden, trotzdem ist das ein wichtiger Punkt. Was macht eine große Familie, wenn ein enges Familienmitglied im Ausland stirbt zum Beispiel? Abgesehen von den bürokratischen und finanziellen Hürden ist aber das Wesentliche, was sich durch die Pandemie verändert hat das Gefühl, dass ich gerade verspüre. Ich reise oft und gerne. Die Luft an Flughäfen riecht nach Abenteuer und Ungewissheit, nach Spannung und Euphorie. Heute roch sie anders: Nach Desinfektionsmittel und Latex-Handschuhen, nach Unsicherheit und 1,5 Meter Sicherheitsabstand. Es stinkt am Flughafen, weil die Angst vor einer Ansteckung an jedem Gepäckstück klebt, an jedem Reisepass und an jeder neuen Bekanntschaft, dessen Hand nicht mehr geschüttelt werden darf.

Reisen in Corona-Zeiten hat einen fahlen Beigeschmack, ich will keine Angst haben, aber auch ich spüre, wie ich einen großen Bogen um Menschen mache , die ihre Maske nicht über der Nase tragen. Und um alle anderen Menschen auch. Ich halte Abstand, auch emotional. Das macht mich sehr traurig, läuft transkultureller Austausch doch über emotionale Nähe. Wir sind alle mehr mit uns selbst beschäftigt, spontane Bekanntschaften werden unwahrscheinlich, schnell zurück in die Isolation. Wir haben uns in den letzten Monaten daran gewöhnt, ich frage mich, wann sich das verändert. Ich wünsche mir ein „Reisen wie damals“, wohl wissend, dass es das vielleicht nie mehr geben wird. Wir werden uns einrichten müssen, in einer Welt, in der Covid-Tests den Stellenwert eines Reisepasses genießen. Jedenfalls so lange, bis ein Großteil der Welt geimpft ist. Eine globale Herdenimmunität. Bis das soweit ist, wird es noch sehr lange dauern, Virusmutationen werden den Impfstoff möglicherweise unwirksam gemacht haben, auch in dieser Krise leiden die Ärmsten am meisten. Bis beispielsweise in Kenia flächendeckend mit dem Impfen begonnen werden kann, wird es noch viele Monate dauern, der Spiegel sprach in seiner letzten Ausgabe sogar von bis zu zwei Jahren.

Ich bin gespannt, was mich in Nairobi erwartet. Und vor allem wer. Ich soll einen Taxi-Fahrer geschickt bekommen, der mich vom Flughafen zu meiner Gartenlaube bringt. Ob er weiß, dass mein Flug zwei Stunden Verspätung hat? Die Corona-Pandemie macht alles ein Stückchen absehbarer – ich weiß, dass ich nicht auf große Parties gehen und mich wohl von Menschenmassen fern halten werde, Corona nimmt ein Stück Abenteuer. Ich habe mich in den vergangenen Monaten so an die Eintönigkeit meines Online-Studium-Alltags gewöhnt, und an die komische Sicherheit, die der Determinismus mit sich bringt, dass mich sämtliche Ungewissheiten viel schneller aus der Bahn werfen als früher. Es macht mir Angst, dass ich nicht weiß, ob am Flughafen jemand auf mich wartet. Und wer dieses Jemand ist. Ich frage mich, ob sich die Unsicherheit in den kommenden Wochen legen wird. „Alles wird gut“, sagt mein Freund, als er sich vorhin an der Sicherheitskontrolle von mir verabschiedet. „Und wenn nicht, dann wird es eben anders gut.“ Ich nicke. Die Pandemie zeigt uns allen, dass Gesundheit die wichtigste aller Währungen ist, unser höchstes Gut, unser Ticket nach überall. Und dass wir alle voneinander abhängig sind. Nur wenn alle sicher sind, ist einer sicher, denke ich, während die Kids in der Reihe neben mir kreischen. Ich glaube Angst macht in einer Krise nicht unfrei, nur vorsichtig, vielleicht ist das gerade auch okay so. In 6 Stunden bin ich in Kenia.

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