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Was ist eigentlich mit Nawalny?

Was ist eigentlich mit Nawalny?


Seit knapp einem Jahr sitzt der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny im russischen Straflager in Haft. Putin lenkt die internationale Aufmerksamkeit weg von Menschenrechtsverletzung im Inneren nach Außen an die ukrainische Grenze – und der Westen schaut zu.

Was machen 100.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze? So genau weiß das niemand. Sie schüchtern ein, sie üben Druck aus, sie verschieben den NATO-Beitritt der Ukraine ungewiss in die Zukunft. Vor allem ziehen sie die internationale Aufmerksamkeit auf sich. Seit Monaten wird über den Truppenaufmarsch berichtet, die russische Außenpolitik und mit ihr Putin sind damit auf der globalen Agenda. Das freut einen aufmerksamkeitsfanatischen Autokraten, denn am liebsten liest Putin Nachrichten über sich selbst. Und das schon seit dem Jahr 2000. Seitdem zieht Wladimir Putin das größte Land der Welt in den Abgrund. Der Transformationsindex der Bertelsmannstiftung stuft Russland als Autokratie ein, gesamtwirtschaftlich geht es abwärts, das Bruttoinlandsprodukt sinkt stetig und im internationalen Wettbewerb wird es für Russland immer schwerer. Würde das Land nicht so viel fossile Energieträger besitzen – und zur globalen Sorge Atombomben – dann würde es wirtschaftlich wohl vom Westen ignoriert.

Wissen über die Strukturen Russlands und das in ihnen verankerte System Putin sind wichtig, um zu verstehen, warum Alexej Nawalnys Gefangenschaft nicht nur ungerecht ist, sondern auch symbolisch für die Willkür Russlands und die Unterdrückung von Meinungen und Menschen steht, die die Machtblase des Kremls potenziell zum Platzen bringen könnten. Russland ist Teil des Europarats, obwohl das Land Menschen- und Freiheitsrechte mit seinen vergoldeten Schuhen in den Boden stampft.

Ein kurzer Recap zum Fall Nawalny

Alexej Nawalny ist vor allem durch seinen Youtube-Channel bekannt, in dem er jahrelang den Kampf gegen Korruption und für Meinungsfreiheit geführt hat. Mit Information und Aufklärung hat er der russischen Bevölkerung eine Putin-Alternative geboten. Er entwarf dafür eine App, eine Art Guideline zum ‚schlaueren Abstimmen‘ bei Wahlen. Diese ist jetzt verboten. Ebenso, wie Nawalnys Youtube Kanal, der vom Kremel als extremistisch eingestuft wurde. Als extremistisch gelten in Russland außerdem der IS und die Taliban.

Nawalny sitzt seit nunmehr knapp einem Jahr im russischen Straflager. Angeblich habe er während einer Deutschlandreise gegen die Meldepflicht verstoßen, die einem alten Strafverfahren innewohnt. Das ist Willkür und ein illegitimer Versuch, Nawalny als Sprachrohr der Opposition zu unterdrücken. Das Verfahren, auf das sich russische Behörden berufen, wurde vom europäischen Gericht für Menschenrechte als unfair eingestuft. Davon abgesehen hätte sich Nawalny nicht melden können – er lag nämlich auf der Intensivstation der Berliner Charité im Koma. Nawalny wurde im August 2020 vom russischen Geheimdienst FSB vergiftet, während er in Tomsk Wahlkampf machte. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass sich ein Nervenkampfstoff aus der Nowitschokgruppe in einer Wasserflasche des Hotels befand. Dass Nawalny am nächsten Tag im Flugzeug zusammenbrach, hat ihm möglicherweise das Leben gerettet. Mit einer Notlandung in Omsk und der Erlaubnis, ihn zwei Tage später nach Deutschland auszufliegen, hat der Kreml wohl nicht geplant. Bis heute weist Putin jede Art der Schuld von sich. Dabei gibt er sich gleichgültig, „hätten wir ihn vergiften wollen, hätten wir es auch geschafft“, sagte er auf einer späteren Pressekonferenz. Nawalnys Namen spricht er dabei nicht aus. Als könnte das Schweigen über den Oppositionellen ihn langfristig ausradieren.

Das alles ist bekannt und wurde international breit diskutiert. Die USA und Großbritannien haben den verdächtigen FSB-Agenten Reiseverbote erteilt, ihr Vermögen wurde eingefroren. Mehr ist nicht passiert.

Das liegt wohl auch daran, dass der Westen auf eine selektive Zusammenarbeit mit Russland angewiesen ist. Russland ist nicht nur Atommacht, Russland ist außerdem einer der größten CO2-Emittenten weltweit – schlechter fürs Klima sind nur China, die USA und Indien. Wenn die Klimakrise global proaktiv bekämpft werden soll, dann geht das nicht ohne Russland.

Putin muss all das bewusst sein. Er weiß um den Druck, den er aufbauen kann und er muss keine Angst davor haben, dass er als Staatsoberhaupt abgewählt wird. Durch eine Verfassungsänderung wird er bis mindestens 2036 von seinem Palast am Schwarzen Meer willkürlich Risiko spielen, Macht und Reichtum sind ihm, ja dem ganzen Kreml, sicher. Dass Russlands Kleptokratie die langfristige Verarmung der Bevölkerung zur Folge hat, dass kann Putin egal sein. Sein Land ist flächenmäßig zu groß für einen Putsch der Bevölkerung. Bürger-Organisation fernab der Großstädte ist kaum möglich. Außerdem spielt die Politikverdrossenheit vieler Russ:innen eine Rolle. Wenn man sich an repressive Gesetze, Zensur und Angst als Regierungsinstrument gewöhnt hat, dann fühlt sich Aktivismus an wie Luft mit Netzen fangen.

Widerstand hinter Gitter

Im Dezember letzten Jahres hat die EU Nawalny den Sacharow-Preis verliehen, die höchste Auszeichnung des EU-Parlaments für die Verteidigung der Menschenrechte. Er saß währenddessen im Straflager, und 100.000 Soldaten warteten an der ukrainischen Grenze auf Befehl. Wie es Nawalny geht, kann man nur von seinen Instagram-Posts erahnen. Nawalny ist ein Storyteller. Er weiß, wie man mit der Maschinerie Social Media umgeht. Ende Januar schrieb er, dass alles super sei und voller Neujahrsstimmung. Er philosophierte über Schnee und das schlechte Essen – über seine physische oder psychische Verfassung schrieb er kein Wort.

Er sendet damit eine Botschaft, die ich nicht wirklich deuten kann. Ich erinnere mich an ein Zitat vor seiner Verhaftung, in dem er sagte, dass man sich vor nichts fürchten dürfe, außer vor der eigenen Angst.

Nawalny wird oft als Symbolfigur eines&#160;<em>anderen Russland&#160;</em>dargestellt. Als Kämpfer für Freiheit und Menschenrechte. Nawalny sitzt im Straflager, so wie es die Freiheit tut. In einer Welt, die sich vom Pluralismus hin zum Solidarismus bewegt, darf die internationale Gemeinschaft nicht aufhören hinzuschauen und die Situation zu verurteilen. Aufmerksamkeit hält Nawalny am Leben.

Warum die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord-Stream 2 – was von Anfang an kein privat-wirtschaftliches, sondern ein politisches Projekt war – nicht an Nawalnys Freilassung und langfristige Unversehrtheit geknüpft wird, verstehe ich außerdem nicht. Der Westen duckt sich vor der Eskalationsdominanz Russlands weg und Putin bekommt, was er will. Vorteile bringt das Deutschland und der Europäischen Union langfristig nicht.

Foto: Unsplash

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